Blutbeichte
es mir weggenommen wird. Etwas stimmt nicht. Nur nicht zu viel. Jetzt können Sie mich auch finden.‹« Joe ließ die Hand sinken. »Ich glaube, jetzt haben wir dich gefunden, du Scheißkerl.«
»Kurz und schmerzlos«, sagte Danny.
»Was für Gekritzel. Sieht wirklich so aus, als hätte er es eilig gehabt.«
»Ja«, sagte Danny. »Ziemlich wirrer Stuss.«
»Mal sehen, was Mr Frayte dazu meint«, sagte Joe.
Als sie den Verhörraum betraten, schlief Stanley Frayte. Danny und Joe wechselten einen Blick. Die Personen, die einschliefen, wenn sie aufs Revier gebracht wurden, waren meistens schuldig. Ein Unschuldiger würde sich den Kopf zerbrechen und verzweifelt zu ergründen versuchen, warum er auf die Wache gebracht worden war. Die Schuldigen waren häufig sogar erleichtert, dass sie nicht mehr lügen mussten und das Spiel aus war; die Anspannung fiel von ihnen ab, sodass die Erschöpfung sie so sehr übermannte, dass manche sogar einschliefen.
»Mr Frayte«, sagte Danny und rüttelte ihn an den Schultern. »Mr Frayte!«, wiederholte er und rüttelte den Mann fester.
Stanley wachte auf und blickte im ersten Moment verärgert drein. Doch als er begriff, wo er sich befand, legte sich ein Ausdruck des Erschreckens auf sein Gesicht.
»Tut … tut mir leid«, stammelte er.
»Wissen Sie, warum Sie hier sind?«, fragte Joe ihn.
Stan zuckte mit den Schultern. »Nein.«
»Warum denken Sie nicht mal kurz darüber nach, was Sie getan haben, als wir Sie geschnappt haben?«
Stan überlegte. »Ich habe einen Brief zur Post gebracht. Und?«
»Schön, dass Sie so glücklich darüber zu sein scheinen. An wen haben Sie geschrieben?«
»Es war Marys Brief, wissen Sie …«
»Wer ist Mary?«, fragte Danny.
»Mary Burig.«
Danny seufzte. »Und wer ist Mary Burig?«
»Bitte«, sagte Stan. »Geht es nicht ein bisschen freundlicher? Sie machen mir Angst.«
Danny und Joe wechselten einen Blick.
»Ich habe doch nichts Unrechtes getan!« Stan setzte sich aufrecht hin.
»Beruhigen Sie sich. Erzählen Sie uns etwas über diese Mary Burig«, forderte Joe ihn auf.
»Mary ist eine Patientin. Das heißt … eigentlich ist sie keine Patientin, eher eine Bewohnerin vom Colt-Embry-Heim, ein paar Blocks entfernt. Es gehört zur Reha-Klinik.«
»Ist sie Patientin oder Bewohnerin?«, fragte Joe. »Was denn nun?«
»Ich glaube, Mary wohnt dort, weil sie eine Hirnschädigung hatte, genau wie alle anderen in dem Heim.«
»Alle Bewohner der Apartments leiden an Hirnschädigungen?«, fragte Joe.
»Ja. Sie wohnen dort im Anschluss an die Rehabilitationsmaßnahmen, bevor sie nach Hause entlassen werden. Das soll ihnen helfen, sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern.«
Joe warf Danny einen Blick zu und schüttelte langsam den Kopf.
»Wollen Sie damit sagen, diese Mary ist geisteskrank?«, fragte Danny.
Stan presste die Kiefer aufeinander. »Nein. Das habe ich nicht gesagt. Und so etwas würde ich auch niemals sagen.« Er zuckte mit den Schultern. »Nennen Sie es, wie Sie wollen.«
»In welcher Beziehung stehen Sie zu Mary?«
»In keiner. Ich meine, ich kenne sie bloß. Sie ist ein nettes Mädchen. Ich bin Handwerker – Elektriker, um genau zu sein – und arbeite in dem Haus, in dem sie wohnt. Das ist auch schon alles.«
»Warum werfen Sie Marys Briefe ein?«
»Weil sie mich darum gebeten hat. Da ist doch nichts dabei, meine Güte. Sie ist ein nettes Mädchen. Sie hat mich um einen Gefallen gebeten, und ich bringe ihre Briefe in meiner Frühstückspause zur Post.« Stan zuckte mit den Schultern.
»Wissen Sie, warum diese Mary die Briefe verschickt hat?«
»Keine Ahnung. Ehrlich gesagt, habe ich noch nicht mal die Adressen gelesen. Das geht mich ja auch nichts an.«
»Sie haben die Adressen nicht gelesen?«, fragte Joe.
»Natürlich hat er«, meinte Danny.
»Das ist nicht wahr!«, rief Stan. »Das würde ich niemals tun. Die Privatsphäre in dem Heim wird großgeschrieben. Die Bewohner müssen das Gefühl haben, respektiert zu werden.« Er verzog das Gesicht. »Ich habe Ihnen alles gesagt. Kann ich jetzt gehen?«
»Nein, können Sie nicht«, sagte Joe.
»Aber …«
»Sie sind also der Hausmeister?«, fiel Danny ihm ins Wort.
»Ja.« Stan seufzte.
»Dann haben Sie die Schlüssel für die Wohnungen?«
»Was soll das heißen?«
»Haben Sie oder haben Sie nicht?«
»Ja, ich habe die Schlüssel. Aber viele andere auch. ’ne Menge Leute haben die Schlüssel.«
»Sie verstehen offenbar nicht, worauf wir hinauswollen.«
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