Blutbraut
sondern schüttelte Cris’ Griff ab, langte an ihm vorbei nach mir, zog mich wie zuvor hinter sich her. Ich ließ es zu, auch wenn meine Lungen sich abermals ein Stück weit zusammenkrampften und jeden Atemzug mühsam machten.
Wir passierten das Stahlrohrgerippe des Baugerüsts, tauchten in die Dunkelheit dahinter. Das Stimmengewirr und das Gejohle blieben hinter uns zurück. Dann waren wir im Freien. Ich versuchte, in der kühleren Nachtluft tiefer zu atmen.
Endlich waren wir auch an dem Gittertor und dem Kerl
dort vorbei. Ich hatte Cris versprochen, nicht davonzulaufen. Wieder und wieder musste ich es in meinem Kopf wiederholen. Nicht, dass er meine Hand losgelassen hatte. Ich stolperte hinter ihm her, stemmte mich ein ums andere Mal gegen seinen Griff, verlangte keuchend: »Langsamer!«, und wurde einfach nur weiter gezerrt. Nebenstraßen hinunter, um Ecken und durch unbeleuchtete Durchgänge. In die entgegengesetzte Richtung, in der Cris’ Porsche stand.
»Joaquín, warte!« Cris war die ganze Zeit neben mir gewesen.
Ohne Vorwarnung fuhr er zu seinem Bruder herum. Taumelnd kam ich ebenfalls zum Stehen, wich zurück, soweit es sein Griff erlaubte.
»Warum seid ihr hier?«, wollte er heftig wissen. »Warum seid ihr nicht auf Santa Reyada? Was sollte das?«
»Joaquín, ich …«
Seine unwillige Geste schnitt Cris das Wort ab. »Vergiss es! Es hätte mir klar sein müssen, dass ich mich nicht auf dich verlassen kann. Wie immer. Vergiss, dass ich gefragt habe.« Er drehte sich um, ging einfach weiter; mich nach wie vor im Schlepp. Cris fluchte, kam uns nach.
»Lass mich dir wenigstens erklären …«
Wir bogen um die nächste Ecke. Direkt dahinter wartete die mitternachtsblau-metallicfarbene Viper, die ich in der Garage gesehen hatte, unter einer Straßenlaterne. Das Licht spiegelte sich im Lack. Erst jetzt gab er mich frei – mit einem unmissverständlichen Schubs in Richtung des Wagens. Ich machte zwei Schritte und blieb stehen, sah ihm dabei zu, wie er in den Beutel griff, den Autoschlüssel daraus hervorholte. Die Zentralverriegelung blinkte auf, während die Alarmanlage zugleich ein kurzes Quaken von sich gab.
»Joaquín, jetzt hör doch …«
Er trat an mir vorbei, hielt mir die Beifahrertür auf, während er zugleich seine Brieftasche – ebenfalls aus den Tiefen des Beutels – in die Gesäßtasche seiner Jeans schob. »Steig ein! Schnall dich an!« Sehnsüchtig huschte mein Blick die Straße hinunter. Er sah mich an, als habe er meine Gedanken gelesen, als ich mich dann der Viper zuwandte. Stumm glitt ich ins Innere. Tastete nach dem Gurt. Und ließ die Hand wieder sinken. Nein. Wenn ich mich anschnallte, konnte ich ihm nicht mehr entkommen. Schon jetzt waren meine Handflächen schweißnass bei dem Gedanken, mit ihm … allein im Auto …
»Joaquín …«
Wie zuvor fuhr er abrupt zu Cris herum. »Ich will nichts hören! Deine ewigen Ausflüchte stehen mir bis hier.« Seine flache Hand schnitt knapp vor seinem Kinn waagrecht durch die Luft. Die andere umkrallte den Türholm. »Wenn es nicht zu riskant wäre, würde ich sagen, ich will dich in nächster Zeit nicht auf Santa Reyada sehen, aber so, wie die Dinge liegen, habe ich keine andere Wahl.«
Cris’ Kiefer fiel herab. Er starrte seinen Bruder an. Der schüttelte den Kopf. Es wirkte beinah … angewidert. »Du kennst den Weg nach Hause. Spätestens in zwei Stunden bist du wieder auf Santa Reyada.« Nur ein Idiot hätte seine Worte nicht als das verstanden, was sie waren: Befehle! Cris ballte die Hände an den Seiten zu Fäusten, schwieg aber. Und drehte sich nach einem Moment noch immer wortlos um und marschierte davon, zurück in die Richtung, in der sein Porsche stand.
Er schloss meine Tür, ging um die Schnauze der Viper herum, stieg ebenfalls ein und knallte seine Tür zu. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich mich in den Spalt zwischen der Tür auf
meiner Seite und meinem Sitz verkrochen. Doch er beachtete mich gar nicht. Stattdessen zog er einen von Schlieren durchzogenen, milchig verfärbten Kristall, ungefähr so lang und dick wie mein kleiner Finger, aus dem Stoffbeutel und das schwarze Kreuz, das ich gestern Morgen schon auf seiner Brust gesehen hatte. Der Kristall verschwand in seiner Hosentasche, das Kreuz legte er um. Erst mit etwas Verspätung erkannte ich es: Rosa hatte es auf dem Porträt getragen.
Als Letztes kam ein Medikamentenfläschchen aus braunem Glas zum Vorschein. Sein Blick ging zu mir. Mit harten Bewegungen
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