Blutbraut
Er hielt in der Bewegung inne, als er mich sah. »Sanguaíera«, stotterte er und starrte mich an. Seine großen braunen Augen waren noch größer geworden.
»Hallo!« Oder hätte ich besser ›Hola‹ sagen sollen? Ich rang mir ein Lächeln ab.
Erst jetzt schien er sich an die Lautstärke seiner Musik zu erinnern und bückte sich hastig nach einem Gettoblaster, der neben einer der Hebebühnensäulen stand, um sie ins Erträgliche herunterzudrehen. Sichtlich verwirrt schaute er von mir zu Joaquín, als er sich wieder aufrichtete. »Patron … ?«, setzte er irgendwie hilflos an und räusperte sich dann unbehaglich. Weil ich war, was ich war, oder weil er eine Frau mit in eine ›Werkstatt‹ brachte?
»Ich brauche deinen Wagen.«
Miguels Verwirrung wuchs sichtlich. »Meinen Wagen?«, wiederholte er verständnislos und drehte sich halb nach dem Camaro um.
»Nicht den Chevi. Deinen Golf«, erklärte Joaquín.
Miguel sah von ihm zu dem gelben Wagen hinter uns. »Meinen Golf?« In seinem Tonfall war die Frage nicht zu überhören, was jemand, der acht – nun ja, nachdem die Viper Schrott war, nur noch sieben – Luxusschlitten sein Eigen nannte, zum Teufel noch mal ausgerechnet mit seinem gewöhnlichen Golf wollte.
Er nickte zu mir hin. »Sie kann kein Auto fahren. Aber ich kann sie ja wohl kaum für die ersten Male in einen meiner Wagen setzen. Ganz nebenbei haben die alle Gangschaltung.« Ungläubig starrte ich ihn an. Hatte er das eben tatsächlich gesagt? Und hatte ich ihn auch wirklich richtig verstanden? Er wollte mir das Autofahren beibringen? »Natürlich wird jeder Kratzer auf meine Kosten repariert.«
»Sie kann … ? ¡Madre de Dios!« ›Jemandem fällt das Kinn herunter‹, traf es bei Miguel nicht mehr ganz. Er wirkte deutlich jenseits von fassungslos. Wahrscheinlich spiegelte mein Gesicht die gleichen Gefühle wider. Er wollte mir das Autofahren
beibringen! Doch im nächsten Moment grinste Miguel breit. »Ich verstehe, Patron. Kein Problem. Selbst mit meinen paar PS wird sie am Anfang zu kämpfen haben.« Er zwinkerte mir zu. »Machen Sie ruhig viele Kratzer hinein, Sanguaíera. Ich wollte ihn sowieso neu lackieren.« Joaquín zischte, aber es klang nicht wirklich böse. Im Gegenteil. Noch immer grinsend sah Miguel wieder zu ihm. »Ich sage Jorge, dass er mich abholen soll. Wie lange brauchen Sie ihn, Patron? Vielleicht leiht er mir ja seinen Wagen so lange.«
»Das ist nicht nötig.« Er nickte zum vorderen Teil der Garage hin. »Der Deal ist folgender: Du leihst mir für ein paar Tage deinen Golf und kannst dir im Gegenzug für diese Zeit einen meiner Wagen nehmen.«
Miguel öffnete den Mund. Allerdings kam mehrere Sekunden kein Laut heraus. »Einen Ihrer … egal welchen?«, stammelte er schließlich.
Joaquín schien sich bei dieser Frage innerlich doch ein Stück weit zu krümmen. Vor allem als Miguel sehnsüchtig zu einem Wagen mit einem Lack in Metallicblau sah.
»Egal welchen«, bestätigte er nach einem weiteren Moment dann aber mit einem Nicken.
Miguel schluckte sichtlich. Und schüttelte den Kopf. Nicht nur zu meiner Verblüffung. »Das ist sehr großzügig, Patron, aber absolut nicht nötig. Jorge schuldet mir sowieso noch einen Gefallen und …«
Mit einem unwilligen Schnalzen schnitt er Miguel den Satz ab. »Du nimmst dir für die Tage, in denen du mir deinen Golf lässt, einen von meinen Wagen. Punkt! Egal welchen. Verstanden? «
Miguels Blick ging erneut zu den Wagen im vorderen Teil
der Halle. »Brauchen Sie den Pick-up, Patron? Ansonsten würde ich den nehmen.«
»Den … Pick-up?«
Um ein Haar wäre mir die gleiche Frage in genau demselben Tonfall herausgerutscht.
»Ja, Patron.« Der Ausdruck in Miguels Gesicht wurde … verträumt. »Aber vielleicht … könnte ich Donnerstag ja den Bugatti nehmen. Ich habe Inés versprochen, sie zu unserem Jahrestag fein zum Essen auszuführen. – Und … für sie, so als … Überraschung …« Manche Männer sahen süß aus, wenn sie rot wurden. Miguel gehörte eindeutig dazu.
Joaquín nickte nur. »Du weißt, wo die Schlüssel und die Papiere sind. Nimm sie dir. Egal von welchem. – Wollen wir?« Das galt mir. Natürlich. Und natürlich ließ er mir nicht die Chance, zu protestieren, sondern ging einfach zu dem Rolltor hinüber und drückte auf einen Schalter. Mit einem erstaunlich leisen Rumpeln bewegte es sich aufwärts. Anscheinend war mein Unterricht in Hexerei für heute beendet und ich hatte Fahrstunde. Ich folgte ihm,
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