Blutengel: Thriller
am Computer noch einmal die gerichtsmedizinischen Berichte zu dem Fall Travenhorst durch. Die Gerichtsmediziner hatten in der gesamten Fabriketage Genmaterial des Bewohners gesammelt. Zahnbürste, Speichelreste an gebrauchten Bechern und Gläsern, Haare aus der Bürste, Spuren aus der Kleidung. Alle genetischen Fingerabdrücke waren identisch mit den Resten des durch die Bombe völlig zerfetzten Leichnams. Den Blutspritzern und der Verteilung der Körpermasse nach galt als wahrscheinlich, dass Travenhorst die Sprengladung, die er gezündet hatte, am Körper in Höhe seiner Brust getragen hatte. Wie diese Selbstmordattentäter, dachte sie.
Sie hatte Glück gehabt, dass sie sich neun Meter entfernt in einer Vertiefung des Bodens aufgehalten hatte. Aufgehalten! Genau diesem Umstand hatte sie ihr Leben zu verdanken.
Sollte Travenhorst noch leben und sollte tatsächlich er es sein, der sie drängte, das Baby auszutragen, gab es dafür nur eine plausible Erklärung.
Er musste sämtliche DNA-Spuren in der Wohnung manipuliert und eine weitere Geisel in der Etage gehabt haben, die er in die Luft sprengte, als das Einsatzkommando die Tür aufbrach.
Alle SMS-Nachrichten wiesen keinerlei Absenderkennung auf. Nur eine der E-Mails war mit einer Adresse versehen. Und das war zweifellos kein Zufall. Er wollte Kontakt mit ihr aufnehmen.
Eigentlich gab es nur einen wirklichen Beweis für Travenhorsts Tod. Und der befand sich in ihrem Bauch. Mit Sicherheit hatte er die »Befruchtung« mit seinem Samen vorgenommen. Sollte also die in der Fabriketage gefundene DNA zu den Genen des Embryos passen, dann war er nicht mehr am Leben. Andererseits …
Sie griff zum Telefonhörer und wählte die Nummer der gynäkologischen Praxis.
»Der Herr Doktor ist gerade beschäftigt, da müssten Sie heute Abend ab 18 Uhr noch einmal anrufen«, antwortete die Arzthelferin auf ihre Frage.
»Es geht um eine polizeiliche Ermittlung.«
»Einen Moment.«
»Nergengruen.«
»Bitte entschuldigen Sie, aber wir stehen hier unter enormem Zeitdruck. Ist es möglich, die DNA eines drei Monate alten Embryos zu bestimmen?«
»Sicher. Geht es um eine Geschlechterbestimmung?«
»Nein, wieso?«
»Danach wird öfter gefragt. Das ist allerdings eine Grauzone, in Deutschland machen wir das in der Regel nicht.«
»Man kann also frühzeitig das Geschlecht bestimmen und die sonstige DNA?«
»Sicher, es gibt sogar die Präimplantationsdiagnostik, bei der vor der Einpflanzung des Embryos untersucht wird, ob Erbkrankheiten vorliegen. Worum geht’s denn? Vorgezogener Vaterschaftstest?«, fragte Nergengruen.
»So etwas in der Art.«
»Prinzipiell schon, allerdings sind damit Risiken verbunden.«
»Eine Schädigung des Fötus?«
»Mit der Untersuchung wird bei 10 Prozent der Fälle eine Fehlgeburt eingeleitet.«
Kaja gab die Informationen in ihren Computer ein und schickte sie als Anhang an Mangolds E-Mailadresse. Besonders betonte sie das Risiko einer derartigen Untersuchung. Lebte Travenhorst, dann hatte er sicher ihre Computer gehackt. Er würde diese Nachricht lesen.
Zumindest aber musste er Zugriff auf die Datenbank der Abtreibungsklinik haben. Schließlich hatte er dort ihren Termin abgesagt. Also rief sie noch einmal die Praxis an und vereinbarte ein Gespräch zu den Risiken einer DNA-Untersuchung des Embryos.
Was, wenn er sich bereits seit Wochen in ihrem Computer umgesehen hatte? Ein grauenhafter Gedanke. Sollte sie das Notebook von einem Computerexperten untersuchen lassen? Andererseits war Travenhorst eine Koryphäe, wenn es um Programme und Hackerangriffe ging. Ein Polizeitechniker war da sicher überfordert. Die verstanden ja nur mit allergrößter Mühe, was etwa Peter Sienhaupt in seinem Computer-Cockpit anstellte, und das, obwohl sie den Computer und seine Arbeit direkt vor sich hatten.
Wenn diese Nachrichten und Hinweise von Travenhorst kamen, dann musste er genauestens über ihre Ermittlungen informiert sein.
Wie auch immer, sollte Travenhorst leben und alles daransetzen, dass sie das Kind austrug, dann musste er handeln. Er würde die Gefährdung des Fötus durch die Untersuchung nicht in Kauf nehmen.
Sie lachte, als sie die Datei noch einmal aufrief. Das alles konnte man auch als eine höhere Form von Paranoia auslegen. Sie verschickte Nachrichten, indem sie einfach einen Text in ihren Computer eingab und glaubte, dass Travenhorst ihn las. Wo war da eigentlich der Unterschied von jenen Patienten, die sich durch den Fernseher beobachtet
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