Blutengel: Thriller
Wand war mit bunten Plastikplatten verkleidet, wie sie in den Siebzigern modern gewesen waren. Gleich neben der Tür standen drei klappbare Sitze, wie sie in alten Kinos benutzt wurden.
Die Pflegerin kam zurück und meinte: »Es geht ihr wirklich nicht gut.«
»Es dauert nur einen Moment. Und es ist sehr wichtig.«
Deutlich hörte sie aus dem Inneren eine Frauenstimme.
»Sie kommen, Liebling, sie kommen.«
Die Pflegerin trat zur Seite, und Kaja Winterstein drückte vorsichtig die Tür auf.
»Nein, Liebling, sie werden uns nicht trennen. Niemals. Erwarte mich …«
Die Frau trug einen Morgenmantel und sah zum Fenster. Außer ihnen war niemand im Raum.
»Frau Jaspers? Ich hätte gern mit Ihnen gesprochen.«
Der Vorhang war zugezogen und ließ nur spärlich Licht in das Zimmer. Die Luft war abgestanden und von künstlichem Jasminduft durchzogen.
»Setzen Sie sich«, sagte die Frau und wies auf einen Stuhl, der neben dem Bett stand.
Sie machte drei Schritte auf das Fenster zu und zog die Vorhänge auf.
»Sie sind gekommen, um ihn mir wegzunehmen, nicht?«
»Wen meinen Sie?«
»Er wartet auf mich. Jede Nacht wartet er auf mich.«
»Ihr Lebensgefährte? Er wartet?«
Sie lächelte Kaja Winterstein an und schüttelte den Kopf. Deutlich konnte die Profilerin erkennen, wie die Frau ihren Oberkörper aufrichtete und tief durchatmete. Etwas Entschlossenes huschte über ihr Gesicht.
»Ein wenig Licht und Luft werden uns guttun. Sie sind von der Polizei?«
Kaja bejahte die Frage, und auch Simone Jaspers nickte bestätigend mit dem Kopf.
Dann öffnete sie mit ungewöhnlich rascher Handbewegung das Fenster.
*
Marc Weitz sah zu den beiden Uniformierten, die sich vor dem Haus tuschelnd über ihre Hamburger Kollegen lustig machten. Der Ältere blickte verschmitzt zu ihm herüber und drehte sich dann wieder zur Seite.
»Es riecht nach Bohnerwachs«, sagte Weitz laut und untersuchte die Briefkästen. Sie waren aus einem billigen Blech und vor vielen Jahren mit grüner Farbe überstrichen worden.
Zwei von ihnen waren völlig verbeult und sicher mehrfach aufgebrochen worden. Oben auf den Kästen lagen Werbezettel, die lustlose Drücker dort deponiert hatten. Vier Namen waren mit Filzstift direkt auf das Blech geschrieben, drei andere auf Klebestreifen gekritzelt.
Landmann-Karnich, Bosetzki, Jaspers … Marc Weitz stutzte. Er trat näher heran und las ungläubig den zweiten Namen noch einmal. Aber das war doch … Er wandte sich nochmals um zu den beiden Polizisten, die noch immer dort standen und nun rauchten.
Der Ältere schnippte gerade die Asche seiner Zigarette ab, als Weitz eine Art Bündel sah, das keine drei Meter neben dem rauchenden Beamten auf die Straße fiel.
Der Polizist sprang zur Seite und stieß dabei einen kehligen Schrei aus.
Das dumpfe Geräusch, mit dem die Frau auf dem Pflaster aufgeschlagen war, nahm Weitz erst Sekunden später wahr.
Er stürmte hinaus. Der jüngere Polizist stand noch immer angewurzelt nur wenige Meter entfernt, starrte auf die Frau und ließ die Arme hängen.
Weitz tastete nach dem Puls. Die Frau blickte ihn an und sagte: »Er wartet doch auf mich.«
»Wer?«, fragte Weitz. Und noch einmal: »Wer wartet?«
Ihr Kopf kippte zur Seite, und ein dünnes Rinnsaal Blut lief aus ihrem Mundwinkel. Es tropfte in die Lache, die sich unter ihrem Kopf bildete.
»Los, du Held, ruf Verstärkung!«, herrschte Weitz den älteren Polizisten an. Der hatte sich in einiger Entfernung auf den Kantstein gesetzt und zog hektisch an einer Zigarette.
Weitz sah an der Fassade hinauf und entdeckte an einem offenen Fenster das Gesicht von Kaja Winterstein.
Er rief den Polizisten zu, dass sie nichts anrühren sollten, und sprang die Stufen des Altbaus hinauf.
Als er das Zimmer betrat, stand Kaja immer noch am Fenster.
»Alles in Ordnung?«, fragte Weitz.
»Sie hat gelächelt. Ist lächelnd auf die Fensterbank gestiegen. Es ging einfach zu schnell.«
»Niemand macht Ihnen einen Vorwurf«, sagte Weitz.
»Ich hätte vorher mit ihrem Arzt reden müssen.«
»Unsinn«, sagte Weitz. Dann begann er, die Schränke im Zimmer zu untersuchen.
»Schon einen Überblick verschafft?«, fragte Weitz.
»Was?«
»Die Wohnung.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, ging Weitz in die Küche. Weinend saß die Pflegerin am Küchentisch und sah ihn flehend an.
»Ich müsste mal Beweismaterial sicherstellen.«
»Beweismaterial«, wiederholte die Pflegerin.
Marc Weitz öffnete die Küchenschubladen, fand aber
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