Bluterde
Schicksalsergeben schnallte sie sich an. Die Let setzte sich langsam in Bewegung, und obwohl sie Schnaps hasste, wünschte Lea sich jetzt nichts sehnlicher als einen Flachmann voller Hochprozentigem. Die zweimotorige Maschine schraubte sich in den wolkenlosen Himmel über Kigali. Wolodja wirkte entspannt.
»Wie lange fliegen wir?«, fragte Lea laut, um die Motorengeräusche zu übertönen.
»Vierzig Minuten. Ungefähr.«
Er musterte sie. Sein Blick blieb an ihren Händen hängen, die sich seit dem Start an der zerschlissenen Sitzfläche festkrallten.
»Angst?«
Lea antwortete nicht und hielt ihren Blick stur nach vorne gerichtet.
»Musst du nicht. War Militärpilot bei sowjetischer Luftwaffe. Hab über eintausendfünfhundert Flugstunden mit Antonow 12 und 26.«
Lea nickte wenig überzeugt.
»Wem gehört das Flugzeug?«
»Mir. Hab lange für sibirische Leasinggesellschaft im Kongo gearbeitet. Vermieten alte sowjetische Militärflugzeuge samt Besatzung. Aber Geld nicht gut. Sind viele Piloten aus Osteuropa in Kongo, Konkurrenz groß.«
Je gesprächiger Wolodja wurde, umso übler wurde Lea, denn die kleine Let hatte begonnen, wie ein störrischer Esel in den Turbulenzen zu bocken. Sie sackte ab, wurde erst nach rechts, dann nach links gedrückt und heftig durchgeschüttelt. Das Rattern und Klappern im Cockpit war ohrenbetäubend. Ein Schraubenzieher kullerte in wildem Zickzack über den Boden. Während Wolodja Seitenruder und Steuerknüppel bediente, klagte er Lea lautstark sein Leid als Kleinunternehmer im Kongo. Bevor der belgische Brokkoli endgültig seinen Weg zurück ans Tageslicht fand, nahmen die Böen und Luftlöcher langsam wieder ab.
»Alle sechs Monate! Muss ich neu machen«, brüllte Wolodja.
Lea hatte im Kampf mit ihrem Magen völlig den Faden verloren.
»Alle sechs Monate was?«, presste sie zwischen den Zähnen hervor.
»Muss ich Pilotenschein von kongolesischer Flugaufsichtsbehörde neu machen lassen. Ich! Denkst du! Die wollen nur Geld, Geld, Geld!«
Geld! Ein gutes Stichwort! Lea hatte ihre Dollars immer noch nicht gewechselt.
»Was muss ich dir eigentlich bezahlen?«
»Nix. Alles mit Femi gemacht. Du hast Dollars?«
»Ja, warum?«
»Gibst du mir Pass und Geld nach Landung für Einreise.«
Lea blickte aus dem Fenster. Es begann zu dämmern und sie konnte den Dschungel unter sich nur noch als dunkle Fläche ausmachen. Weiter vorne, am Horizont, waren Lichter. Bukavu.
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6. KAPITEL
Gorilla Talk 21
Willkommen in Bukavu!
… sehr abenteuerlich. Schließlich haben es der Pilot, Wolodja, und mein Kollege Femi geschafft, die kongolesischen Beamten von meiner »beschleunigten« Einreise zu überzeugen. Dank gültigem Visum, internationalem Impfpass und einem Bündel Dollarnoten für eine schriftliche Sondergenehmigung (wofür auch immer …). Femis Kommentar dazu: Gewöhn dich besser schnell daran, du bist jetzt im Kongo! Nun sitze ich in meinem Hotel am Kivu-See. Es ist Nacht, ich bin total erschöpft, aber kann nach der ganzen Aufregung nicht schlafen. Also nutze ich die Zeit. Morgen nach dem Frühstück wird Femi mich abholen. Eine kurze Stadtrundfahrt und dann stehen Meetings im WPS-Büro auf dem Programm. Omari, Joseph und Adolphe sind zurzeit in Bukavu, und so werde ich Gelegenheit haben, unsere Ranger endlich persönlich kennenzulernen. Ich freue mich wahnsinnig, aber mein absolutes Highlight wird mein erster Ausflug in den Kahuzi-Biega-Nationalpark sein. Grauergorillas in freier Natur – endlich! …
L ea wachte mit höllischen Kopfschmerzen auf. Sogar das Rot des T-Shirts, das sie gestern Abend sorgfältig über das Kopfkissen gebreitet hatte, tat ihr in den Augen weh. Die Sonne schien durch die Stores. Ihr Blick blieb an dem Kunstledersofa hängen. Das schwarze Ungetüm sah auf den hellen Steinfliesen aus wie ein gestrandeter Wal. Direkt darüber prangte eine protzige Wandleuchte in Gold. Lea verstand jetzt, was Femi gestern mit »African Nouveau Kitsch« gemeint hatte. Die Einrichtung war überhaupt nicht ihr Geschmack, aber wenigstens war das Zimmer großzügig und halbwegs sauber. Sie schlüpfte in ihre Flip-Flops und schlurfte zur Balkontüre. Mit spitzen Fingern zog sie den dünnen Vorhang zur Seite. Vor ihr lag der Hotelparkplatz, umgeben von einer gepflegten Hecke, dahinter Nebengebäude des Hotels La Roche. Sie hatte sich gestern Abend also nicht getäuscht. Der Kivu-See war von ihrem Zimmer aus nicht zu sehen. Sie musste sich beeilen, wenn sie sie noch
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