Bluternte: Thriller
wurden hinuntergeworfen, und dann wurden ihre Leichen in der Krypta aufbewahrt. Wenn Millie damals abgestürzt wäre, wenn wir sie nicht rechtzeitig gefunden hätten, dann wäre sie auch dort runtergeschafft worden. Wahrscheinlich war das bei Lucy auch so geplant, aber Jenny hat sie sehr schnell gefunden.«
Evi spürte ein Kribbeln zwischen den Schulterblättern. Fest umklammerte sie ihre Oberarme, um das Schaudern nicht hervorbrechen zu lassen. »Das ist aber ein ziemlicher Hammer, Reverend«, bemerkte sie.
»Du warst doch mal eine gute kleine Katholikin. Hast du jemals von den Unverderblichen gehört?«
Evi überlegte einen Moment, dann schüttelte sie den Kopf.
»Daran musste ich vorhin in der Pathologie denken. Als ich Megan und Hayley gesehen habe. Ihre Leichname sind vor dem Verfall bewahrt worden. Kaum Verwesungszeichen.«
»Weiter.«
»In der katholischen und christlich-orthodoxen Kirche gibt es die Glaubensmeinung, dass bestimmte Leichname, normalerweise die von sehr frommen Menschen, nach dem Tod nicht verwesen«, erklärte Harry. »Irgendetwas Übernatürliches, das Werk des Heiligen Geistes, erhält sie. Sie sind gemeinhin als Unverderbliche bekannt.«
»Unverderblich an Leib und Seele?«, fragte Evi.
Er nickte. »Das ist eins der Zeichen, die auf einen Kandidaten für eine Heiligsprechung hinweisen«, fuhr er fort. »Ich kann dir unzählige Beispiele nennen. Die heilige Bernadette von Lourdes, der heilige Pater Pio, die heilige Virginia Centurione und haufenweise Päpste.«
»Aber nach dem, was du mir erzählt hast, ist Mumifizierung, und darüber reden wir ja im Großen und Ganzen hier, ein ganz natürlicher Vorgang.«
Harry lachte leise. »Natürlich«, pflichtete er ihr bei. »Ich behaupte auch gar nicht, dass in diesen Fällen der Heilige Geist am Werke war, ganz bestimmt nicht. Es hat mich nur ins Grübeln gebracht.« Er drehte sich zu ihr herum. Seine Augen waren blutunterlaufen, und auf seiner Stirn waren Falten, die ihr bisher nicht aufgefallen waren. »Verstehst du, wenn man nicht den Weg des Übernatürlichen einschlägt«, fuhr er fort, »dann kann man als einen der Gründe dafür, dass so viele Geistliche verhältnismäßig unverderbliche Leichen abgeben, die Tatsache anführen, dass ihre sterblichen Überreste an Orten gelagert wurden, an denen es am wahrscheinlichsten zu einer Mumifizierung kommt – in kalten, trockenen Kirchenkrypten mit luftdichten Steinsärgen. So wie die genau unter uns.«
Evi blickte unwillkürlich nach unten. »Hast du das Rushton gesagt?«, wollte sie wissen.
»Ja, er hat aber so seine Zweifel, weil die Krypta in den Tagen nach Megans Verschwinden gründlich durchsucht worden ist. Jetzt wird er wohl noch einmal da runter müssen. Wenn sie genau genug hinschauen, werden sie Spuren finden.«
»Er wird dich noch für die Polizei anwerben wollen.« Evi versuchte sich an einem Lächeln.
Harry sah sie immer noch an. »Ich finde, er hat’s auf unangenehme Weise mit dem Anfassen«, sagte er. »Berührt mich andauernd an der Schulter oder am Arm. Glaubst du, er steht auf mich?«
Evi zuckte die Achseln. »Ich sehe keinen Grund, warum er das nicht tun sollte«, erwiderte sie.
»Gute Antwort. Hast du heute Abend was vor?«
Sie zwang sich, das Gesicht abzuwenden. »Nein«, antwortete sie langsam. »Aber …«
»Warum gibt’s eigentlich immer ein Aber?«, fragte Harry.
Evi wandte sich wieder zu ihm um. »Ich kann Gillian im Augenblick nicht als Patientin abgeben. Das wäre der völlig falsche Zeitpunkt. Und man braucht kein Genie zu sein, um zu sehen, dass sie total in dich verknallt ist.«
»Und das ist meine Schuld?« Er hatte ihre Hand ergriffen, zog an ihrem Handschuh. Evi konnte seine Finger an ihrem Handgelenk spüren. Sie versuchte, die Hand wegzuziehen, doch er hielt sie fest.
»Vielleicht nicht«, erwiderte sie. »Aber ob es nun deine Schuld ist oder nicht, es ist trotzdem dein Problem. Kopf hoch, da gibt’s bestimmt eine Richtlinie, an die du dich halten kannst. Frauen haben sich schon seit Jahrhunderten in Vikare verliebt.« Der Handschuhe wurde von ihren Fingern geschält. Sie hielt den Atem an.
»Aber nie die richtigen«, meinte er, und seine Hand schloss sich um die ihre. »Und was meinst du mit ›vielleicht nicht‹?«
»Du hast sehr viel Charme, Reverend. Ich kann nicht glauben, dass du dir den nur für mich aufsparst.«
»Also, genau da liegst du falsch. Du – und Detective Chief Superintendent Rushton natürlich.« Sein Zeigefinger
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