Bluternte: Thriller
der von hier wegfährt, wird angehalten und befragt. Wir bitten sie, uns den Kofferraum durchsuchen zu lassen.«
»Machen die Leute da mit?«
»Wenn jemand nicht mitmacht, wollen wir wissen, warum.«
Nein, so würde es nicht enden. »Ja, ich kenne die Vorschriften.« Evi gab sich alle Mühe, nicht schroff zu klingen. »Ich habe sie mir in den letzten vierundzwanzig Stunden dreimal durchgelesen, Dr. Warrington, also versuchen Sie nicht, sie mir vorzubeten. Für mich hat es den Anschein, dass ein Arzt in Situationen, in denen Dritte massiv zu Schaden kommen könnten, nicht nur berechtigt ist, Informationen weiterzugeben, er ist sogar dazu verpflichtet.«
Warrington beugte sich vor und legte die Finger vor dem Kinn zusammen. »Das bezieht sich auf die Weitergabe von Informationen an die Polizei«, entgegnete er. »Sorgen Sie dafür, dass der zuständige Beamte hier vorbeikommt und mit mir spricht, und ich werde sehen, was ich tun kann.« Er bückte sich und griff nach seiner Tasche.
»Dafür ist keine Zeit«, beharrte Evi. »Hören Sie, ich habe Sie mit dieser Geschichte überfallen, und das tut mir leid, aber ich habe mir schon die halbe Nacht den Kopf darüber zerbrochen.«
Er öffnete den Mund. Sie gab ihm keine Chance.
»Ich habe weder die Zeit noch die Energie, höflich zu sein. Das Ganze läuft also auf Folgendes hinaus«, fuhr sie eilig fort. »Wenn Sie mir nicht helfen und Joe Fletcher ums Leben kommt, dann sorge ich dafür, dass jeder – die Polizei, die Ärztekammer, die Medien, wirklich absolut jeder – von diesem Gespräch erfährt und davon, dass Ihnen Vorschriften und eine Runde Golf wichtiger waren als das Leben eines kleinen Jungen.«
Schweigen im Sprechzimmer. Evi zitterte. Einen Augenblick lang dachte sie, es würde nicht funktionieren, dass er sie hinauswerfen und sich noch vor dem Abschlag um zwölf Uhr bei der Ärztekammer beschweren würde. Dann streckte er die Hand aus und schaltete den Computer wieder an.
»Na schön«, knurrte er und wich ihrem Blick aus. »Wonach genau suchen wir?«
»Danke«, sagte sie. »Ich muss eine Patientin finden, höchstwahrscheinlich jünger als dreißig Jahre, die an kongenitaler Hypothyreose leidet.«
Rushtons Handy klingelte. Er stand auf und ging schnell ein paar Schritte von Harry weg, das Telefon ans rechte Ohr gepresst. Dann drehte er sich wieder um und drückte die Aus-Taste, während er zurückkam. »Jemand hat sie in Great Harwood gesehen«, sagte er. »Bringen Sie mich zum Auto, Harry.«
Die beiden gingen den Weg entlang und zogen dabei neugierige Blicke auf sich. »Man hat einen Jungen, auf den Joes Beschreibung passt, in ein Haus gehen sehen«, fuhr Rushton fort. »Soweit bekannt ist, wohnen dort keine Kinder, und der Besitzer ist jemand, den wir schon seit einer ganzen Weile im Auge haben. Wir sind uns sicher, dass er ein Sexualverbrecher ist, aber wir können es nicht beweisen. Er ist clever.«
»Und Sie glauben, er hat Joe?«, fragte Harry entsetzt.
»Ich hoffe es, mein Junge, ich hoffe es verdammt noch mal sehr. Diese Meldung ist nämlich vor noch nicht mal einer Stunde reingekommen. Wenn es Joe ist, dann ist er noch am Leben.«
»Werden Sie es Gareth und Alice sagen?«
»Erst, wenn wir etwas Genaues wissen. In zehn Minuten sollte ein Streifenwagen vor Ort sein. Die Kollegen warten nicht auf mich.«
Sie hatten Rushtons Wagen erreicht. Die wartenden Journalisten, die den Detective Chief Superintendent erblickten und die Dringlichkeit in seinen Bewegungen erahnten, kamen auf sie zu. Rushton sprang ins Auto, ehe er sich wieder an Harry wandte. »An Ihrer Stelle, mein Junge, würde ich wieder in die Kirche gehen und das tun, was Sie am besten können.« Der Wagen fuhr los und verschwand um die Ecke.
Harry, der wusste, dass er die Journalisten nicht ertragen könnte, machte kehrt und ging rasch den Hügel wieder hinauf. Nach und nach verließen die Leute die Kirche, und ihm wurde klar, dass er den Hubschrauber schon seit einigen Minuten nicht mehr gehört hatte.
Sinclair und Tobias Renshaw, beide dick angezogen, waren Harry und Rushton vom Kirchengelände gefolgt. Ein kleines Stück hinter ihnen stand Gillian. Sie schaute kurz zu Harry auf und senkte dann den Blick wieder.
»Gibt es irgendetwas Neues, Reverend?«, fragte Sinclair, als Harry näher kam.
Harry schüttelte den Kopf. »Bisher nicht.« Hatte Joe die Nacht bei einem einschlägig bekannten Pädophilen verbracht? In was für einem Zustand mochte er sein, selbst wenn er
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