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Bluternte: Thriller

Bluternte: Thriller

Titel: Bluternte: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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anstellten, um ihre Herden von dort fernzuhalten. In windigen Nächten, hieß es, konnte ein Singen in den Felsen ein Dutzend oder mehr Tiere in den Tod locken.
    Harry merkte, dass er doch stehen geblieben war. Und dass er fror. Er musste nach Hause, duschen, sich umziehen und dann zu einem Mittagessen mit Senioren in Goodshaw Bridge. Und er musste telefonieren. Noch ein paar Meter, dann würde er einem Weg folgen können, der sich an einer Wiese entlangzog und am Ende der Wite Lane herauskam.
    Er quetschte sich durch die Lücke zwischen zwei hohen Felsblöcken und lief wieder los, hügelabwärts an der Wiese entlang, den Blick auf den Boden gerichtet. Am Ende der Wiese kletterte er über eine niedrige Mauer in das Stoppelfeld dahinter. Kaum eine Minute später hatte er es überquert. Er sprang über den Zauntritt und landete in der Wite Lane. Beinahe geschafft.
    Vor dem ausgebrannten Kamin im Cottage der Royles kauerte eine dünne, zitternde junge Frau. Gillian. Schon aus zwanzig Metern Entfernung konnte er sie weinen hören. Nur war das eigentlich kein Weinen. Eher ein Klagen. Das war das einzige Wort dafür: ein hohes, herzzerreißend trauriges Klagen. Die Iren nannten es das Lied für die Toten.

43
     
    »Ist ja gut, ist ja schon gut.« Er hatte das Gartentor aufgestoßen, trat auf den überwucherten Weg. »Kommen Sie, Liebes, ich bringe Sie nach Hause.« Er schritt über die Stelle, wo die Haustür gewesen war. Gillian blickte nicht auf. Sie hockte weiter zusammengekrümmt da und drückte irgendetwas an die Brust. Harry ging über den unebenen Boden und bückte sich neben ihr. Jetzt schaute sie doch zu ihm auf, und er kämpfte gegen die Versuchung an zurückzuweichen. Einen Augenblick lang hatte der Ausdruck in ihren Augen ihm Angst gemacht, hatte ihn glauben lassen, dass sich irgendetwas Grundlegendes bei ihr geändert hatte.
    »Kommen Sie«, wiederholte er, »machen wir, dass wir hier wegkommen. Kommen Sie, Sie sind ja völlig durchgefroren.« Gillian trug nur einen dünnen Pullover, und ihr Handgelenk fühlte sich kälter an als Stein. Er legte einen Arm um ihre Taille und zog sie auf die Beine.
    Sie schluchzte weiter, als er sie durch das Gartentor und die Straße hinauf bugsierte und sie dabei halb führte und halb mitschleifte. Der Kirchhof und die Straße waren verlassen, sein Auto parkte als einziges in der Gasse. Er lotste Gillian über die Straße und öffnete die Beifahrertür. In Heptonclough schloss er den Wagen nie ab, und sein Autoschlüssel war noch in der Sakristei, genau wie seine Kleider. Rasch griff er ins Auto, zog seinen Mantel hervor und legte ihn ihr um die Schultern. »Steigen Sie ein«, wies er sie an. »Ich hole meine Tasche aus der Sakristei, dann fahre ich Sie nach Hause.«
    Zitternd vor Kälte rannte er den Kirchweg hinauf, zog die Kirchenschlüssel aus der Tasche seiner Shorts und öffnete die Tür zur Sakristei. Seine Tasche stand da, wo er sie zurückgelassen hatte. Er schnappte sich ein Sweatshirt und zog es sich über den Kopf. Gerade wollte er sich zum Gehen wenden, als ihn etwas innehalten und sich umdrehen ließ.
    Jemand war hier gewesen. Die Tür zum Hauptschiff stand offen. Als er laufen gegangen war, war sie zu gewesen, da war er sich ganz sicher. Bestimmt war es einer seiner Kirchenvorsteher gewesen, Mike oder Sinclair. Sie waren jetzt die Einzigen, die Schlüssel für das Kirchengebäude hatten. Doch sie ließen ihn in letzter Zeit eigentlich immer wissen, wann sie in die Kirche kamen. Und er hatte beide vor noch nicht einmal einer Stunde gesehen. Keiner hatte etwas davon gesagt, dass er noch einmal wiederkommen wollte. Trotzdem, es konnten nur …
    Er blieb in der Tür stehen und wusste, dass sein Herz zu schnell schlug und sein Atem zu flach ging, und er redete sich ein, dass das von dem Lauf über die Hügel kam. Also nicht seine Kirchenvorsteher. Weder Mike noch Sinclair würden jedes einzelne Betkissen aus den Bänken zerren und die Kissen in der ganzen Kirche herumwerfen. Harry trat auf den Altarplatz. Dutzende von Betkissen: auf dem Teppich, zwischen den Orgelpfeifen, auf den Chorstühlen, überall, außer dort, wo sie sein sollten.
    Harry trat vor. Er wusste, dass es hier nicht nur um die Bettkissen ging, hier gab es noch mehr für ihn zu entdecken, und es konnte nur noch Sekunden dauern, bis es so weit war. Jetzt atmete er nicht mehr zu schnell, er hatte Mühe, überhaupt Luft zu bekommen.
    Etwas wucherte wie ein Pilz in seiner Kehle, drückte von innen

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