Blutflecken (Ein Lucy-Guardino-Thriller) (German Edition)
du willst.«
Lucy riss die Zahnbürste aus ihrem Mund und spuckte aus. Der Motor brummte weiter vor sich hin und spritzte Zahnpasta auf den Spiegel. Sie schaltete die Bürste aus. In der plötzlichen Stille wirkte das Bad noch enger als sonst.
»Ich wollte verdammt noch mal deine und Megans Sicherheit garantieren. Ich sehe darin nichts Falsches.«
Sie trocknete sich das Gesicht an einem der farblich nicht aufeinander abgestimmten Handtücher ab. Sie biss ihre Zähne so fest aufeinander, dass sie förmlich hören konnte, wie es in ihren Nerven knackte und knisterte. So viel zur Behandlung ihrer fehlgesteuerten Kiefermuskeln.
Nick entging das ebenfalls nicht. Er schmiss das Stück Zahnseide in den Papierkorb und stellte sich hinter sie. Gekonnt massierten seine Finger ihr die Anspannung aus Nacken und Kiefer. Langsam ließ der Schmerz nach.
»Ich weiß, dass du nur das Beste für uns willst, aber es hilft uns nicht wirklich, wenn wir uns selbst wegsperren. Das gilt besonders für Megan, erst recht in ihrem Alter. Je mehr du versuchst, sie zu beschützen, desto mehr wird sie versuchen, sich freizukämpfen.«
Lucy ließ sich nach hinten in die wohltuende Wärme seiner Umarmung fallen.
»Vielleicht hast du recht. Aber da ist dieser New-Hope-Fall …«
Ihre Schultern verspannten sich und er übte mit seinen Handflächen so lang einen sanften Druck aus, bis die Muskeln sich wieder lockerten.
»Du hast mir nie erzählt, was damals passiert ist.« Er klang verletzt.
Sie öffnete ihren Mund, aber dann schloss sie ihn wieder. Sie wollte keine Ausreden erfinden. Außerdem war sie noch nicht bereit, diese Erinnerungen zu analysieren. Im Spiegel trafen sich ihre Augen. Nicks blickten ruhig und abwartend. Lucys waren vor lauter Sorgen ganz schmal.
»Ist dir jemals in den Sinn gekommen, dass dich die Gefühle, die du mit dem New-Hope-Fall verbindest, überreagieren lassen könnten?« Seine Arbeitsstimme. Sie hasste es, wenn er ihr gegenüber diesen Ton anschlug. Nicht, weil er sie wie einen Patienten behandelte, sondern weil er normalerweise recht hatte, wenn er so ruhig und vernünftig sprach.
»Findest du, dass ich überreagiert habe?« Der Gedanke war ihr nicht einmal gekommen. Obwohl sie bei Gott dazu neigte, sich erst ins Getümmel zu stürzen und sich dann später um die Einzelheiten zu kümmern. Sie vertraute ihrem Bauchgefühl. Das hatte sie als Agentin im Feld am Leben gehalten, und darin gründete auch ihr Erfolg. Jetzt, wo sie am Schreibtisch saß, war ihre größte Stärke zu ihrer schwersten Bürde geworden. Vielleicht hatte sie wirklich überreagiert. Sie ließ jeglichen Gedanken an Zahnhygiene fallen und setzte sich auf den Toilettendeckel.
»Was hältst du von dem Drohbrief? Aus professioneller Sicht?«
Nick dachte eine Weile nach. Das Grau seiner Augen wurde blasser als sonst, während er sich auf einen entfernt liegenden Punkt konzentrierte. Er senkte sein Kinn so weit nach unten, dass ihm eine ungebändigte Locke seines sandfarbenen Haares in die Stirn fiel.
»Laut dem, was ich in den Zeitungen gelesen habe, war der Mann hinter dem Fall in New Hope so eine Art Superhirn, der fähig war, der Polizei jahrelang zu entwischen, trotz Entführungen, Vergewaltigungen und Morden. Als ihr ihn in die Enge getrieben hattet, hat er sich umgebracht und das letzte Opfer lieber mit in den Tod genommen, als dass er zugelassen hätte, dass ihr sie rettet … Klassisches Bild einer bösartigen narzisstischen Persönlichkeit.«
»Was, wenn stimmt, was in dem Brief steht und der Mörder gar nicht in der Höhle war?« Aber das war unmöglich. Sie hatte gesehen, wie der Mann sich in den Tod gestürzt und Marion Caine mit sich gerissen hatte. Aber ihr Beruf verlangte nun mal, dass sie jede Möglichkeit in Betracht zog – auch die entfernteste.
»Dann war der Mörder von New Hope noch brillanter, weil es ihm dann gelungen wäre, euch an der Nase herumzuführen und zu entkommen. Aber erstens, warum sollte er dir das nach so langer Zeit mitteilen? Zweitens, sieh dir den Brief an. Wer auch immer ihn geschrieben hat, verfügt über den IQ eines Kindes in Megans Alter. Es gibt keinen Hinweis auf wirklichen Narzissmus oder Soziopathie. Trotz der melodramatischen Wortwahl scheint mir der Anlass genau das Gegenteil zu sein. Es geht hier nicht um ›Sieh mich an, ich hab dich reingelegt, ich bin brillant.‹ Für mich liest sich dieser Brief eher wie ein Hilfeschrei. Ich tippe darauf, dass du in ein paar Tagen einen neuen Brief
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