Blutfrost: Thriller (German Edition)
will dich lecken.«
Ich dachte an all meine Mängel. An meinen Bauch, meine Nase, daran, dass ich meinen Po schon seit Ewigkeiten nicht mehr in einem Spiegel gesehen hatte. Dabei wollte ich in diesem Moment so gerne perfekt sein. Ich hatte die Decke nicht angerührt. Hatte seinen Bauch nicht gesehen, seine dünnen Beine oder den Katheter, der in seinem Körper verschwand und den Urin in den Beutel leitete. Ich kannte Körper von innen und außen, hatte Menschen aufgeschnitten und ihnen die Organe entnommen. Ich war kein zartfühlendes Wesen, und gemeinsam mit ihm wäre ich vollkommen gewesen, voller Blut und Sehnsucht und Einsamkeit und all dem Schmerz, von dem ich nur träumen konnte.
Wieder gehorchte ich und streifte den Slip ab, zuerst mit den Händen und dann mit den Füßen, bis ich ihn wegschleuderte, ohne zu wissen, wo er landete. Jetzt war ich nackt.
»Steck deine Brust in meinen Mund.«
Ich tat, was er wollte, und er saugte wie ein Kind an meiner Brust, bis sie schwer aus seinem Mund rutschte. Sie zog eine feuchte Spur über seine Stirn, als ich mich vorbeugte und das Licht ausmachte. Direkt neben dem Lichtschalter war die Klingel. Im Dunkeln konnte ich mir einbilden, er wäre ein anderer, dabei sollte er gar kein anderer sein. Vorsichtig kroch ich über ihn, achtete genau darauf, nicht den Katheter abzudrücken oder seine Beine zu sehr zu belasten. Dann schob ich meine Hände unter sein weißes T-Shirt und streichelte ihm über die Brust. Dort konnte er mich spüren. Ich glühte, als er ungeduldig sagte:
»Jetzt komm schon!«
Ich setzte mich langsam auf seine Brust und beugte mich vor, bis meine Hände die Wand berührten. Dann hob ich meinen Unterleib an und schob ihn bis zu seinem Mund vor. Ich setzte mich auf ihn, sodass seine Zunge sich verzweigen und bis in meine Fingerspitzen, Zehenspitzen und in mein kochendes Herz dringen konnte, das in seinem einsamen Triumph glücklich davonsegelte. Dabei wusste ich genau, dass ich immer nur mir selbst begegnen würde – nie einem anderen.
20
Manchmal kam es mir so vor, als landeten alle Fragen, auf die man keine Antwort fand, auf meinem Schreibtisch. Ich las und beantwortete alles – nicht weil ich das toll oder richtig fand, sondern weil das die Politik unseres Instituts war. Auch wenn die Anfragen von Menschen kamen, die ganz offensichtlich nicht mehr alle Tassen im Schrank hatten. Dennoch, der Absender der ersten E-Mail, die ich an diesem Tag öffnete, schien sich wirklich in einer ganz eigenen Liga zu bewegen:
Maria Krause: Ich habe Sie gestern gesehen, als Sie das Gericht verlassen haben. Mein Gott, haben Sie grimmig ausgesehen. Sie sind ohne Zweifel schön, aber ich glaube wirklich, dass es Ihnen wirklich helfen würde, wenn Sie sich mal nach einer passenden Mülltonne umsehen.
MfG, Ole Boel Kristensen
Ich hatte einige wenige, nur leicht variierende, aber grundsätzlich höfliche Standardantworten für besonders dumme Anfragen, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass der Institutsleiter Fantasie genug hatte, um sich Nachrichten wie die von Ole auch nur vorzustellen, weshalb ich sie ganz einfach löschte. Dann öffnete ich die nächste: Eine Ärztin im Praktikum fragte, ob sie einmal sehen dürfe, was wir machten, und ob sie uns eine Nacht lang begleiten könne. Das durfte sie gerne. Eine andere Frage lautete, ob Faustschläge immer zu erkennen waren. Ich konnte darauf nicht mit ja oder nein antworten. Als Nächsteswollte ein Mann etwas über Kohlenmonoxidvergiftungen wissen. Und ein Anwalt wollte ein Treffen, um über die Verletzungen eines Vergewaltigungsopfers zu reden. Und natürlich hatte ich – wie jeden Tag – die Anfrage eines Autors im Posteingang, der etwas über einen Mord mit anschließender Zerstückelung wissen wollte. Heute wartete aber auch noch eine weitere E-Mail auf mich:
Dr. Krause,
ein Fotograf war in die Stadt gezogen, und meine Mutter bekam wieder dieses elektrisierte Zittern. Nach dem Abendessen stellte sie sich vor den Spiegel und übte mit ihren Haaren, bis sie wusste, wie sie sie stecken musste. Sie machte sich Locken und glättete sie wieder. Toupierte und stylte sich ihre Haare zu allen möglichen Frisuren, sprühte sie reichlich mit Haarspray ein, bis sie richtig glänzten. Erst standen sie ihr wild in alle Richtungen ab, wurden wieder zusammengefasst und durch einen kritischen Blick in den Spiegel begutachtet, schließlich kämmte sie sie gründlich aus, war aber nie wirklich zufrieden. Zu guter Letzt
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