Blutgeld
dahinter befanden sich weitere hohe Papierstapel, ein arabisches Buchhaltungslehrbuch, eine Flasche armenischer Cognac und ein Glas Aspirin.
In diesem Chaos herrschte Sarkis, der vertrauenswürdigste aller vertrauenswürdigen Mitarbeiter. Der Herrscher, hieß es, hielt die christlichen Armenier im Irak für besonders verwundbar und daher für besonders vertrauenswürdig. Sie waren die Höflinge und Finanzberater des neuen Irak geworden, ähnlich wie ihre Vorfahren in den alten Zeiten des Osmanischen Reichs für den Sultan gearbeitet hatten. Professor Sarkis’ Vater, ein Schneider, soll sich mit dem Herrscher so gut gestellt haben, dass er ihm in der Anfangszeit die Uniformen schneiderte. Professor Sarkis hatte auf seinem Schreibtisch gut sichtbar eine große Fotografie vom Herrscher in jungen Jahren mit Uniform aufgestellt, damit es niemand vergaß.
Als sich Lina näherte, drückte Professor Sarkis’ Sekretärin auf einen Summer. «Kommen Sie herein!», rief er durch die geschlossene Tür. Als Lina eintrat, erhob er sich halb von seinem Sessel und beugte sich zu ihr vor. Er wirkte zornig. Sein Gesicht war rot, und seine Lippen waren dünn und geschürzt, als hätte er an einer Zitrone gesaugt. Der Bildschirm des PC auf seinem Schreibtisch leuchtete. Er wusste Bescheid.
«Nehmen Sie bitte Platz», sagte er. Er war kurz angebunden und förmlich, wenn er aufgeregt war. Lina setzte sich in den Besuchersessel vor dem Schreibtisch. Sie schlug die Beine übereinander und erinnerte sich daran, dass sie schließlich nichts Schlimmes getan hatte. Während sie dasaß und ihre Handtasche umklammerte, fiel ihr ein, dass Sam Hoffmans Visitenkarte immer noch in ihrer Brieftasche steckte. Sie veränderte die Stellung ihrer Beine, sodass die Tasche vom Tisch wegschwang. Der Chef der Buchhaltung blickte sie immer noch wütend an. Lina räusperte sich.
«Ist irgendwas nicht in Ordnung, Professor Sarkis?», fragte sie. Sie wollte jetzt nicht mehr länger warten.
«Wie?», fragte er und klopfte gegen sein Hörgerät.
«Ist irgendwas nicht in Ordnung?», wiederholte sie.
«In der Tat», sagte er leise, indem er sie in aller Ruhe von oben bis unten musterte. «Mr. Hammud wird außer sich sein, wenn er wiederkommt.»
«Wieso? Ich habe doch nichts Unrechtes getan. Ich mache nur meine Arbeit.»
Bei Linas Unschuldsbeteuerung explodierte Professor Sarkis.
«Lügnerin!», brüllte er und schlug gleichzeitig mit der Faust auf den Tisch. «Sie sind eine Lügnerin!»
Sie wartete darauf, dass er sie auf ihre generelle Dateienanfrage ansprach, aber er sah sie nur stumm an.
«Was habe ich denn getan?», fragte sie flehend. Diesmal war es fast ein Winseln.
Der Armenier drohte ihr mit dem Finger und richtete ihn dann wie eine Waffe auf sie. «Sie werden uns hier zu neugierig, mit Ihrer Herumschnüffelei.»
«Ich schnüffle nicht herum. Ich tue nur das, was Sie mir aufgetragen haben.»
«Und ob Sie herumschnüffeln! Ich hab Ihnen gesagt, Sie sollen nie Ihre Nase in Mr. Hammuds Angelegenheiten stecken. Nie! Aber Sie tun es trotzdem. Wie sollen wir Ihnen denn da noch vertrauen?»
«Es tut mir leid», sagte sie leise. «Es wird nicht noch einmal vorkommen.»
«Was?», fragte er, indem er sich die Hand ans taube Ohr hielt.
«Es wird nicht noch einmal vorkommen», wiederholte sie. «Es tut mir leid.»
Sarkis schnaubte. «Wieso haben Sie mit diesem Ausländer geredet? Das möchte ich auch gerne mal wissen.»
Linas Kehle schnürte sich wieder zu, es war die blanke Angst, die ihr die Luftröhre zusammenpresste. Sie konnte gerade noch mit Mühe die Worte herausbringen: «Was für ein Ausländer?»
«Etchmiadzin!»
, brüllte Professor Sarkis, den Namen der Heiligen Stadt der Armenier als Fluch benutzend. Wieder schlug er mit der Faust auf den Tisch. «Sie wissen ganz genau, von wem ich rede, der Mann, den Sie auf der Party der Darwishs kennengelernt haben. Der Mann, mit dem Sie nach Hause gefahren sind. Dieser Hoffman. Hören Sie endlich auf, mir was vorzuspielen, verdammt nochmal.» Er spuckte in den Papierkorb.
Linas Selbstbeherrschung zerbröckelte zunehmend. Sie fühlte sich entblößt, als würde man ihr die Kleider vom Leib reißen. Was ihr so viel Angst machte, war nicht, dass sie irgendetwas Falsches getan hatte, sondern dass sie so genau beobachtet worden war.
«Bitte», sagte sie, wobei ihr eine einzelne Träne über die Wange glitt. «Ich kenne ihn doch gar nicht.»
«Tootum kalogh!»
, donnerte er, einen armenischen
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