Blutgeld
Untertasse, der mit kleinen Punkten getrockneten Kaffeesatzes gesprenkelt war. Lina nickte.
«Das sind Augen. Das bedeutet, dass dich eine Menge Leute beobachten. Es gibt viel Neid. Leute sind neidisch auf das, was du hast, und sie wollen es haben.»
Lina berührte zum Schutz die türkise Brosche.
Al Ain
schien sogar schon in der Tasse zu sein.
«Okay. Also diese Leute beobachten dich. Ich weiß nicht, warum. Und dann gibt’s da eine Menge Verwirrung. Siehst du, hier.» Sie zeigte auf einen krummen, ungleichmäßigen Rand Kaffeesatz, der zu einer Art grauschwarzem Nebel getrocknet war. «Das bedeutet Verwirrung. Es wirbelt alles herum, und du weißt nicht, was du tun sollst.»
«Und weiter?»
«Eine komische Form. Hier, siehst du? Ich glaube, es ist ein Kamel. Ja, es ist ein Kamel. Siehst du die vier Beine?»
«Was bedeutet ein Kamel?»
«Das ist gut. Das heißt, dass du das Land verlassen und eine Reise machen wirst. Ja, das ist gut.»
Lina erstarrte. «Könnte es der Irak sein, das Land, in das ich reise?»
«Möglich. Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich nicht. Warum solltest du in den Irak reisen? Nein, es ist wahrscheinlich irgendwas Schönes. Frankreich. Oder Tahiti.»
«Was kommt dann?»
«Danach ist es schwer zu lesen. Da ist eine Menge Schwarz. Es ist eigentlich alles schwarz. Es ist schwer, ein Muster zu erkennen.»
«Lass mich mal sehen», sagte Lina. Sie betrachtete die Tasse, dort, wo Randa hinzeigte, und sah eine breite Bahn getrockneten Kaffees, dunkel und undurchdringlich. Sie schüttelte den Kopf. «Ich weiß, was das bedeutet. Schwarz bedeutet Unglück.»
«Ja, manchmal. Es kann Unglück bedeuten und Traurigkeit. Aber es kann bedeuten, dass das eigentliche Muster darunter verdeckt ist. Also mach dir keine Sorgen. Ich glaube nicht, dass es Unglück bedeutet. Es kann auch Gutes bedeuten.»
«Hör auf, nett zu sein. Was kommt nach dem Schwarz?»
«Das ist eigentlich das Seltsame. Danach ist alles weiß. Ich glaube, so eine Tasse ist mir noch nicht untergekommen. Soviel Schwarz und dann nichts.» Sie hielt die Tasse hoch und zeigte sie Lina. Nach der schwarzen Bahn war die Tasse makellos weiß, fast über eine ganze Hälfte, als wäre auf der Seite überhaupt kein Kaffee entlanggetropft.
«O mein Gott. Was bedeutet das denn?»
«Ich weiß nicht. Aber ich glaube, es ist gut. Es ist eine lange, lange Zeit ohne Probleme, nach all diesem Schwarz. Siehst du? Als würdest du die Wolken durchbrechen und den blauen Himmel erreichen. Ich glaube, das bedeutet es.»
«Na komm. Sag mir die Wahrheit, Randa. Was könnte es sonst noch bedeuten?»
«Ich bin mir nicht sicher. Jeder liest so eine Tasse anders.»
«Was bedeutet es?» Lina schrie jetzt fast.
«Manche Leute könnten es auf eine bestimmte Art lesen, aber ich glaube nicht daran. Soll ich’s dir trotzdem sagen?»
«Ja.»
«Okay. Manchmal bedeutet eine lange weiße Fläche nach so viel Schwarz, dass der Mensch im Himmel ist. Im Paradies. Makelloses Weiß.»
«Tot.»
«Ja, tot.»
«Wer ist dieser Mensch? Ich?»
«Vielleicht du. Oder jemand, den du liebst. Aber wie gesagt, Lina, ich glaube nicht, dass es das ist, was der Satz zeigt. Ich glaube, es bedeutet, dass du nach dieser schwierigen Zeit, in der die Leute dich beobachten und alles sehr kompliziert ist, dass du lange Zeit glücklich sein wirst. Reines Glück.»
«Don’t worry, be happy!», sagte Tony gedankenlos. Er langweilte sich. Er wollte sich wieder seiner Freundin auf der Couch widmen.
«Genau. Be happy!», sagte Randa.
«So», sagte Lina. «Ich muss jetzt gehen.»
«Ich bring dich zur Tür», sagte Randa und nahm ihre Freundin bei der Hand. Lina ging langsam und unsicher, einen Schritt und dann den nächsten. Randa führte sie in die Diele und machte dann die Tür hinter sich zu, damit Tony nicht hören konnte, was sie sagte.
«Jetzt hör mal zu», sagte Randa leise. «Vergiss diesen Quatsch mit dem Kaffeesatz. Das ist abergläubischer Unsinn. Ich weiß nicht, was dich so beunruhigt, aber eins kann ich dir sagen: Du machst dir zu viel Sorgen wegen der Arbeit. Seit einigen Tagen siehst du schrecklich aus. Weißt du das? Schrecklich. Die Gerüchteküche behauptet, Professor Sarkis hat dich neulich wegen irgendwas zusammengeschissen. Stimmt das?»
Lina nickte.
«Nun, Professor Sarkis kann mich mal. Wie findest du das? Er kann mich mal.»
Lina versuchte zu lachen. Es war wenig mehr als ein lautes Ausatmen.
«Im Ernst, Schätzchen, wenn du dich wegen Hammud und seiner
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