Blutgesicht
dennoch bestimmend. »Ich wußte, daß du zu mir kommen würdest, meine Liebe. Ich wußte es ganz genau, denn du und ich, wir gehören zusammen.«
Jane Collins nickte, ohne es eigentlich zu wollen. Da war diese Stimme, der sie nicht entgehen konnte. Sie war darauf abgestellt, andere Menschen in ihren Bann zu ziehen und damit auch den unmittelbaren Umkreis der Person, die sprach.
Jane schaute in Lassalles Augen. Dabei hatte sie den Findruck, dazu gezwungen zu werden. Er hielt ihrem Blick stand, gab um keinen Deut nach. Erst jetzt fiel ihr auf, wie klein seine Pupillen waren. Um sie herum baute sich das Weiße auf und wirkte im Verhältnis zu den kleinen Pupillen groß.
Sie blieb gelassen und stand trotzdem unter einer wahnsinnigen Spannung. Es gab da einen unsichtbaren Nagel, der sich in ihren Körper hineinbohrte und sich mit seiner Spitze immer mehr ihrem Herzen näherte, als wollte er es durch seine Glut in Flammen setzen.
»Wir sind nur für uns, Jane. Dieser Tag gehört uns. Und du bist allein gekommen?«
»Ja, das bin ich.«
Lassalle schüttelte den Kopf. Seine dünnen Haare bewegten sich dabei wie federnd. »Man ist nie allein im Leben, meine Liebe, das solltest du dir merken.«
»Wieso? Das verstehe ich nicht…«
»Der Tod ist immer da.«
Jane konnte ein Zusammenzucken nicht vermeiden. Das hatte auch Lassalle mitbekommen, denn er lachte plötzlich. »Was bist du so erregt? Ich habe nur die Wahrheit gesagt.«
»Aber der Tod…«
»Sobald ein Mensch seine Geburt erlebt hat, geht es bergab. Sein Ziel ist der Tod.«
»Na und…?«
»Er begleitet ihn. Er ist ein unsichtbarer Gast. Er steht immer daneben. Manchmal kann man ihn spüren, dann streicht er sehr nahe an dir vorbei. Dann jedoch gibt es Augenblicke, da hat er sich weiter entfernt, und du kannst ihn nicht sehen und fühlen.«
»Ja«, murmelte Jane. »Ja, ich habe dich verstanden. Aber was ist jetzt in diesem Augenblick passiert?«
»Siehst du ihn?«
Jane schaute sich nicht um, weil sie dieser Maler einfach in seinen Bann schlug. »Ich sehe dich«, flüsterte sie.
Wieder grinste er breit und impertinent. »Bin ich denn der Tod?« flüsterte er.
Jane schwieg. Sie überlegte, was sie antworten sollte. Was wollte er hören?
»Bin ich es?«
»Nein«, brachte sie hervor. »Nein, du bist es eigentlich nicht. Du bist nicht der Tod.«
Lassalle verengte seine Augen. »Hast du keine Furcht davor, daß ich es werden könnte?«
»Das… das… weiß ich nicht genau.«
»Es ist möglich«, sagte er. »Ich bin ein Künstler«, versprach er flüsternd. »Ich bin ein Mensch, der sich darauf spezialisiert hat, andere zu malen. Andere Menschen, andere Landschaften, eben sehr viele Dinge, die mir ins Auge fallen.«
»Nur sie?« fragte Jane.
»Ich weiß nicht, was du damit meinst.«
Jane schaute auf seine Hände, und der Maler folgte ihrem Blick. Sie waren bräunlich, als wäre die Haut leicht eingefärbt worden. Lange Finger mit ebenfalls langen Nägeln, die aussahen, als wären sie schmutzig, was allerdings nicht stimmte, denn die leicht gekrümmte Hornhaut besaß diese Farbe.
Sie sah, daß die Finger zuckten, als sollten sie zu Krallen werden, die einem Raubtier gehörten. Plötzlich streichelte er sie. Jane blieb starr auf dem Fleck stehen, obgleich sie sich am liebsten in Luft aufgelöst hätte, als sie die Spitzen der Nägel spürte, wie sie über ihre Haut hinwegglitten, als wäre er dabei, ihr ein Blutgesicht zuzufügen. Das trat nicht ein. Sie glitten nur an ihrer rechten Wange entlang bis hin zum Hals. Jane ärgerte sich darüber, daß sie wieder die Augen schloß, und so hörte sie ihn nur und sah ihn nicht.
»Nichts«, flüsterte er ihr zu. »Nichts bleibt, wie es ist. Jeder Mensch verändert sich. Auch ich habe mich verändert, denn mir ist es gestattet, hinter die Dinge zu schauen. Ich sehe nicht nur das, was ich male, ich sehe noch mehr. Es ist mein metaphysischer Blick, der mir so einiges erlaubt.«
»Was meinst du denn?«
»Ich sehe Dinge, die im Verborgenen blühen. Sie sinci einmalig und wunderbar. Sie öffnen mir die anderen Welten. Man schickt mir Botschaften, die ich dann für mich verwende. Es ist das Geheimnis meiner Kunst, und ich werde dich einweihen, wenn ich dir meine großen Bilder zeige.«
Jane schaute ihn wieder an. »Die kenne ich schon«, sagte sie mit leiser Stimme.
»Aber du bist trotzdem gekommen.«
»Ja.«
»Warum?«
»Wegen dir.«
Er lachte. Auch das hielt er unter Kontrolle, obwohl er den Mund weit
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