Blutgesicht
angesprochen. »Mal ehrlich, John, beurteilst du die Lage ebenso schlimm wie Sarah?«
»Ja, das tue ich.«
»Warum?«
»Erinnere dich daran, wie er auf uns gewirkt hat.«
»Ich will ihn zwar nicht in Schutz nehmen, aber er ist ein Künstler. Denen sagt man ja gewisse Dinge nach. Sie sind extrovertiert und oft sehr von sich eingenommen.« Ich hob die Schultern und stoppte hinter einem Lastwagen. »Er stand gestern abend in unserer Nähe, das ist schon wahr. Mein Kreuz hat nicht reagiert. Keine Wärme, kein Zucken, deshalb bin ich vorsichtig.«
»Im Gegensatz zu mir.«
»Für dich ist er schon – sagen wir – schuldig.«
»Ja, das ist er. Wir können auch wetten, John.«
»Nein, das tue ich lieber nicht. Ich hoffe nur darauf, daß du nicht recht behältst, Suko, denn sonst steht es um Jane Collins wirklich schlimm…«
Ja, das war die Welt des Malers Nathan Lassalle!
Jane Collins kannte sie, und trotzdem war sie auf eine gewisse Art und Weise neu für sie. Nicht nur das, auch so fremdartig, denn wohl fühlen konnte sie sich in diesem Saal nicht. Das schafft nur jemand, der täglich hier ein und aus ging.
Sie war auch ein wenig über die Lichtverhältnisse irritiert. Im Flur war es sehr hell gewesen. Das hätte sich in den Ausstellungsräumen eigentlich fortsetzen müssen, in diesem Fall traf es nicht zu. Der große Raum war düster, trotz der Fenster. Durch sie drang kein Sonnenlicht. Überhaupt war das Licht des Tages ausgesperrt worden, denn noch ein Fenster war zu sehen, weil der Künstler dunkle Vorhänge vor die Scheiben hatte fallen lassen. Jane zögerte. Sie blieb auf der Schwelle stehen wie jemand, der sich nicht traut, und schaute nach rechts und links, wie jemand, der darauf wartet, daß ein Feind auf ihn lauert.
Niemand war da.
Nur der Maler.
Sie spürte Lassalles warmen Atem über ihren Nacken streifen und schauderte leicht. Er stand so nahe hinter ihr, daß er die Hände auf ihre Schultern legen konnte. Jane spürte die leichte Berührung und hörte sein Flüstern:
»Warum gehst du nicht hinein?«
Vor der Antwort mußte sie sich erst räuspern. »Es ist so anders, verstehst du?«
»Nein, du irrst dich. Es sind die gleichen Bilder, die du gestern auch gesehen hast.«
»Ja, das schon. Aber…«
»Was stört dich?«
Auf diese Frage hatte Jane gewartet. Ihre Antwort erfolgte prompt. »Es ist das Licht. Oder soll ich sagen, daß es überhaupt nicht vorhanden ist? Keine Lampen. Weder an der Decke noch an der Seite. Da ist einfach nichts zu sehen. Die Bilder verschwimmen in der Dunkelheit. Ich kann kaum etwas sehen.«
»Das wird sich ändern«, versprach Lassalle und setzte sein Versprechen sofort in die Tat um. Er bewegte sich hinter Jane, die ein leises Klicken hörte, als der Schalter umgelegt wurde und gleich mehrere Lampen ihre Helligkeit abstrahlten.
Es waren Wandleuchten. Man hatte sie in der Nähe der Bilder installiert. So konnte ihr Schein auf die Gemälde fallen, und das geschah stets von oben nach unten. Eine Lampe reichte für zwei Bilder aus, und die Motive schälten sich allmählich hervor.
Es waren die normalen Bilder. Landschaften, Stilleben, einige Porträts. Gemälde, die sich jeder in die Wohnung hängt, immer vorausgesetzt, er schwärmt für düstere Farben.
»Willst du hier auf der Stelle festwachsen?«
»Nein, das nicht. Ich habe mich nur an die neue Umgebung gewöhnen müssen.«
»Das verstehe ich. Komm jetzt, wir wollen mit unserem kleinen Rundgang beginnen.«
Jane wurde durch den Druck seiner Hände nach vorn geschoben und stemmte sich auch nicht mehr dagegen. Trotzdem unsicher betrat sie den Ausstellungsraum.
Ihre Schuhe bewegten sich über dunklen Boden hinweg. Es war kein echter Stein, der Belag sah nur so aus und bestand aus einem anderen Material.
Jane versuchte, ihre Nervosität zu unterdrücken, was ihr nur schwerlich gelang. Dennoch schaffte sie es, ein normales Gesicht zu machen und sich nichts anmerken zu lassen.
Die Bilder verteilten sich an den Wänden. Bei dieser Ausstellung fehlte der Mittelteil, den Jane schon des öfteren in anderen erlebt hatte. Keine Vitrinen mit Plastiken, hier ging es einzig und allein um die reinen Bilder.
An der Schmalseite des Raumes waren die Fenster durch die dunklen Vorhänge verdeckt. Der lange Stoff malte Schatten auf den Boden, die sich zitternd bewegten, obwohl kein Wind wehte.
Nathan Lassalle blieb dicht an Janes Seite, als sollte sie nur seinen Geruch nicht verlieren. »Möchtest du dir jedes Bild noch
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