Blutgold
sie
nun zu ihrem neuen Zuhause bringen; dort würden sie bleiben, bis sie ihre
Schulden abbezahlt hätten. Das Geld würde jeden Monat zusammen mit der Miete,
die weitere fünfzig Pfund pro Woche betrug, eingesammelt werden. Man würde
ihnen Jobs besorgen, bis sie ihre Schulden bezahlt hätten; danach müssten sie
sich selbst etwas suchen. Falls sie sich beschwerten, widersprachen oder gegen
die Auflagen verstießen, würde das ernste Konsequenzen haben. Falls sie sich an
die Polizei, an Krankenhäuser oder an Behörden wandten, solange sie ihre
Schulden noch nicht zurückgezahlt hätten, würde man sie zurück zum Bauernhaus
bringen und an die Giebelwand stellen, die man ihnen zuvor gezeigt hatte.
Eine Stunde später wurden sie in dem Haus in Strabane abgesetzt. Dort
erwartete sie ein Mann mittleren Alters mit einem Pferdeschwanz. Er hatte
Milch, Brot, Butter und Eier dabei. Im Haus gab es keine Möbel, kein Bettzeug.
Einer der Männer beschwerte sich und sagte, er hätte etwas Besseres erwartet.
Der Mann mit dem Pferdeschwanz und einer der Fahrer gingen mit ihm ins
Obergeschoss. Die übrigen hockten unten und lauschten den dumpfen Schlägen. Erst
am nächsten Tag sahen sie den Mann wieder. Er beschwerte sich nie mehr.
Der Mann mit dem Pferdeschwanz sagte, er werde jeden Monat
vorbeikommen; von den Almurzayevs werde er vierhundert Pfund kassieren –
einhundert Pfund pro Person für die Rückzahlung der Schulden und fünfzig Pfund
pro Woche für die Miete. Größere Familien bezahlten beinahe doppelt so viel.
Wenn jemand nicht genügend Geld verdienen könne, würden sie eine Arbeit für ihn
suchen. Auch für die Kinder. Bisher hatten sie alle immer dafür gesorgt, dass
sie die Miete hatten, wenn er kam: nach acht Uhr abends am ersten Freitag im
Monat.
Schweigend
hörten wir ihr zu, bis sie zum Ende ihrer Geschichte kam. Dann bat sie mich um
einen Zigarette und ging nach draußen, um zu rauchen.
»Ich kann
das nicht zulassen«, sagte ich zu Karol. »Ich muss den PSNI verständigen.«
»Nein«, sagte er. »Man wird sie ausweisen.«
»Das wäre besser als das, was ihnen im Augenblick geschieht.«
»Die würden jeden umbringen, den die Polizei nicht erwischt, Inspektor.
Die würden annehmen, dass jemand sie denunziert hat.«
»Ich kenne jemanden beim PSNI ,
einen guten Mann. Er wird es richtig machen.«
»Sie haben ihr versprochen, dass Sie sie nicht melden, Inspektor. Sie
haben ihr Ihr Wort gegeben.«
»Soll ich lieber zulassen, dass sie von einem Haufen Schläger
ausgebeutet werden? Wollen Sie das? Der Staat wird sich um sie kümmern.«
»Sie glauben, sie wären besser dran, wenn der Staat sich um sie
kümmert? Es gibt keine sicheren Häuser für illegale Einwanderer. Sie erhalten
ja nicht einmal medizinische Versorgung, wenn Leute wie ich sie nicht illegal
behandeln. Ich würde die Approbation verlieren und nach Polen zurückgeschickt,
wenn bekannt würde, was ich da mache. Ihre Meldung wird gar nichts ändern. Die
Leute, die sie ins Land geschleust haben, werden untertauchen, und die
Einzigen, die leiden, werden Natalia und ihresgleichen sein. Wenn Sie ihr
helfen wollen, dann helfen Sie ihr auch wirklich.«
»Und wie stellen Sie sich das vor?«
»Finden Sie heraus, wer sie eingeschleust hat. Denn die werden bald ihr
Geld haben wollen, und sie hat keine Möglichkeit, es zu verdienen.«
Wir sahen beide durch die Fensterscheibe nach draußen, wo Natalia
stand, die Arme wärmend um den Körper geschlungen, und an ihrer Zigarette zog,
als wäre es ihre letzte.
Abends
saß ich mit Debbie zusammen, nachdem wir unsere beiden Kinder ins Bett gebracht
hatten. Sie saß im Schneidersitz auf dem Sofa, ein Kissen an sich gedrückt, und
versuchte, eine Soapopera anzuschauen.
»So oder
so, ich fühle mich schuldig«, sagte ich. »Wenn ich nichts unternehme, lasse ich
zu, dass diejenigen, die diese Menschen ausbeuten, davonkommen. Wenn ich es
melde, liefere ich sie aus, und man schickt sie nach Hause. Was würdest du
tun?«
»Kannst du der Sache nicht nachgehen, ohne sie wirklich zu melden?
Herausfinden, wer sie hergebracht hat?«, schlug sie vor, ohne den Blick vom
Bildschirm abzuwenden.
»Ich wüsste gar nicht, wo ich anfangen sollte«, sagte ich. »Und ich bin
in dieser Sache auf mich allein gestellt.« Meine frühere Partnerin, Caroline
Williams, hatte nach einem Fall, bei dem sie beinahe getötet worden war, den
Dienst quittiert. Seitdem hatte man mir keinen neuen Partner zugeteilt, unter
anderem vermutlich,
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