Blutgold
Gesicht war ein Bild völliger Konzentration, die Waffe hielt er
mit ruhiger Hand. Ich folgte seinem Blick, folgte der Zielrichtung seiner Waffe
zu Hagan, der mit angstverzerrtem Gesicht dastand.
Mit erhobener Hand drängte ich mich durch die Menge auf ihn zu, ein
Warnschrei blieb mir in der Kehle stecken. Dann hörte ich den Schuss und sah
die Mündung der Waffe aufblitzen. Im selben Augenblick wurde Leon von den
beiden ehemaligen Secret-Service-Agenten zu Boden geworfen, die zu spät
versuchten, die Unzulänglichkeit des von der irischen Polizei An Garda Síochána
gewährten Schutzes wettzumachen. Die Pistole wurde Leon aus der Hand geschlagen
und fiel zu Boden, wo sie im herbstlichen Sonnenlicht glitzerte, das durch die
Fenster hereinschien.
In
der darauf folgenden Panik brachten Patterson und Weston Hagan in Sicherheit,
während mehrere Polizisten Hagans Leibwächtern halfen, Leon Bradley zu
überwältigen. Ich ging hin und hob die Waffe auf, die Leon fallen gelassen
hatte, wobei ich sie vorsichtig an der Mündung anfasste. Nun sah ich, dass es
nur eine Schreckschusspistole war. Hagan mochte erschüttert sein, aber er würde
unverletzt sein. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass Leon Handschellen
angelegt worden waren, ging ich auf Hagan zu, der von Menschen umringt war, die
ihr Mitgefühl bekundeten.
Doch ich
kam nicht bis zu ihm, denn Patterson verstellte mir den Weg, das Gesicht rot
vor Zorn.
Ich hielt die Waffe hoch. »Es ist eine Schreckschusspistole …«, setzte
ich an, doch Patterson packte mich am Kragen und drängte mich an die Wand.
»Sie nichtsnutziger Vollidiot«, zischte er durch die zusammengebissenen
Zähne. Dann schubste er mich erneut und schritt steifbeinig zurück durch die
Menge.
Mehrere Gäste hatten die Szene beobachtet. Nun wandten sie sich ab und
nahmen ihre Gespräche wieder auf, während der Schütze abgeführt wurde.
10
Montag, 9. Oktober
Um
achtzehn Uhr war Hagan bereits zu seinem nächsten Termin aufgebrochen, und die
Zeit bis dahin hatte Patterson größtenteils damit verbracht, sich sowohl bei
ihm als auch bei Weston zu entschuldigen. Leon Bradley hatte sich standhaft
geweigert, preiszugeben, wie er Zugang zum Empfangsbereich des Hauptgebäudes
erlangt hatte. Doch auf dem Film der Überwachungskamera am Haupttor war zu
sehen, dass er durch den Vordereingang gekommen war und eine Eintrittskarte
vorgezeigt hatte. Zuerst dachte ich, sein Bruder hätte ihm die Karte gegeben,
doch als ich das überprüfte, zeigte sich, dass Fearghal nur zwei
Eintrittskarten erhalten hatte: eine für Linda und eine für sich selbst. Dann
folgte ich einer Eingebung. Als ich Janet Moore zum ersten Mal gesehen hatte,
hatte sie sich mit Ted Coyle und einem der Aussteiger unterhalten, von dem ich
nun vermutete, dass es sich um Leon Bradley gehandelt haben musste. Ein rasche
Überprüfung bestätigte, dass beide Karten, die Janet Moore erhalten hatte,
trotz der Abwesenheit ihres Mannes am Tor vorgezeigt worden waren.
Leon
saß auf der Wache in Lifford in der Zelle. Er hatte ein blaues Auge und eine
violette Prellung am Kinn. Es musste erst noch festgestellt werden, ob einer
unserer Männer oder einer von Hagans Leuten ihn verletzt hatte. Niemand hatte
es eilig damit.
Er saß
zusammengesunken auf der unteren Pritsche eines Etagenbetts. Seiner Körpergröße
wegen musste er sich ducken, um sich nicht den Kopf am Bett über ihm zu stoßen.
Seine Haut war blass, aber dunkel vor Bartstoppeln. Auf der linken Wange,
gleich unter dem Auge, trug er eine kleine selbst gemachte Tätowierung eines
chinesischen Schriftzeichens, die von dem blauen Auge beinahe überdeckt wurde.
Seine Haare waren schmutzig und stumpf, zu Dreadlocks geflochten. Er trug eine
Röhrenjeans im Stonewashed-Design, die an den Säumen ausgefranst war. Die
Schnürriemen seiner Arbeiterboots hatte man entfernt.
Die Armeejacke, die er bei seinem Schuss auf Hagan getragen hatte, lag
am Boden. Als ich die Zelle betrat, drehte er sich gerade eine Zigarette,
obwohl man ihm nicht gestatten würde, sie hier drin zu rauchen.
Er sah zu mir hoch, dann fuhr er mit der Zunge über den Klebestreifen
des Blättchens, klebte es zu und drehte das Ende der Zigarette zusammen.
Sogleich begann er mit einer weiteren. Neben ihm auf dem Bett lag bereits ein
kleiner Haufen.
Ich setzte mich auf den Plastikstuhl ihm gegenüber.
»Hi, Leon«, sagte ich. »Ich weiß nicht, ob du dich an mich erinnerst …«
Wieder sah er zu mir hoch. »Ich erinnere mich
Weitere Kostenlose Bücher