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Blutheide

Blutheide

Titel: Blutheide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K.Hanke und C. Kröger
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zeigte wie ein Pfeil auf das tierische Volk. Im ersten Moment ekelte er sich. Die Vorstellung, die Ameisen würden sich bald an ihm gütlich tun, hatte ihn sich schütteln lassen. Doch dann hatte er allmählich begriffen, warum das Schicksal ihn gerade jetzt ins Bett verbannt und den Strahl geschickt hatte. Und die Ameisen. Wie eine Welle war das Wissen sachte in ihm emporgestiegen. Er sollte es sehen. Er sollte verstehen. Er sollte sich den Strahl zunutze machen und durch die Ameisen lernen. Plötzlich hatte er gewusst, was er zu tun hatte und in Zukunft tun musste, um seine Überlegenheit deutlich und nach außen spürbar zu machen. Bis heute hatte er sich daran gehalten.

    Den Strahl fixierend hatte er sich, damals noch in einem schmächtigen Körper steckend, langsam aus seinem Bett hervor gewühlt, war geräuschlos zu seinem Schreibtisch getappt, hatte die dort bereits wartende Lupe ergriffen und sie sacht in den scharfen Streifen Licht geschoben. Vorsichtig hatte er das Lupenglas justiert, den Strahl gebrochen, auf die mickrigen Tierchen gerichtet und seinen Lernauftrag ausgeführt. Er würde den sanften und doch so mächtigen Zisch, den das erste Insekt, der Anführer der ersten Kette, bei seinem Verenden von sich gab, niemals vergessen. Es war das Geräusch seiner eigenen Befreiung gewesen, der erste vernichtende Schritt zur Machtübernahme über alle Kreaturen.

    Wie ein Wunder war er den Nachmittag über nicht in seinem Zimmer gestört worden und hatte sich ganz seiner Übung hingeben können. Die darauffolgenden Stunden hatte er trunken vor Glück damit verbracht, aus dem Zischen eine Art eigene Herrschafts-Musik zu komponieren. Jedes verendete Insekt war eine Note: Zisch-Pause-Zischzischzisch-Pause-Zisch… Er musste damals stark an sich halten, um nicht mitzusummen. Inzwischen hatte er sich besser im Griff.
    Später hatte es in seinem Jungenzimmer verbrannt gerochen. Er hatte den Geruch in sich eingesogen. Er mochte ihn. Es war der Geruch seiner Macht, den er noch immer, auch hier ins Schaufenster blickend, schmecken konnte. Aber das war es nicht allein. Der Geruch sagte noch mehr über seine Tat aus: Er hatte über den Instinkt der Kreaturen gesiegt. Mit Verstand und Beharrlichkeit. Er hatte ihren vorherbestimmten Weg, von dem sie trotz der ausgehenden Gefahr nicht abweichen konnten, beobachtet und sie dann getötet – Zisch-Pause-Zischzischzisch.

    Nach den Ameisen hatte er sich dann an größere Tiere herangewagt. Auch die hatte er über kurz oder lang besiegt. Den Hasen vom Hausmeister in der Schule, die täglich am Ufer der Ilmenau streunende Katze mitsamt ihren Flöhen und auch den Pudel der alten Frau, für die er stets einkaufen gehen musste, und der ihn Monate zuvor in die Hand gebissen hatte.
    Heute war er vollkommen geschult, und die einstige quälende Bewunderung und Angst gegenüber Tieren war in Herrschaft über alle Lebewesen übergegangen, die er gerade jetzt wieder, in diesem Moment, in sich fühlte.

    Das quietschende Geräusch einer schweren Tür unterbrach jäh seine Gedanken. Sein Kopf ruckte in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, und er fühlte, wie die Knorpel in seinem Nacken knackten. Aber das war jetzt egal. Sein Herz machte einen Freudenhüpfer. Das Warten hatte sich gelohnt: Sie war es, die da eben aus der Mietshaustür trat. Er hatte sie sofort erkannt. Ihr kleiner Körper wirkte angespannt unter der Last der beiden Tüten, die sie mit sich schleppte. Sie rief noch etwas in das Treppenhaus hinein, was er über die Entfernung nicht verstehen konnte, dann schnappte die Tür hinter ihr zu, und sie ging in Richtung des steinernen Torbogens, dorthin, wo im Hinterhof des Hauses sicherlich die Mülleimer ihr schmutziges Dasein fristeten und in Kürze die Tüten aus ihren Händen schlucken würden. Er musste sich beeilen, damit sie nicht gleich aus seinem Blickfeld verschwand – schließlich konnte er ihr schlecht in den Hinterhof, in dem es auch Hinterhäuser mit Fenstern und neugierigen Menschen dahinter gab, folgen. Auch wollte er noch gar keinen weiteren Kontakt zu ihr. So reichte es ihm im Moment vollkommen. Sein innerer Auftrag war es heute lediglich, für seinen Karteikasten neue Fotos, die richtigen, die mit der perfekten Besetzung für sein Meisterstück, zu schießen. Die Kamera war schon bereit. Jetzt führte er sie an sein Auge und schoss mehrere Sequenzen in Folge von ihr. Die untergehende Sonne reflektierte das Licht auf ihren blonden Zöpfen, doch das

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