Blutheide
Zumindest hatte sie jetzt aber das Ergebnis ihrer nächtlichen Arbeit rausgebracht.
»Nicht schlecht, Kollegin! Die Nachtschicht scheint sich gelohnt zu haben«, unterbrach Tobi das auf Katharinas Worte folgende Schweigen. »Und wie ist sein Sternzeichen?«, setzte er grinsend hinzu.
»Keine Zeit für Späße, Tobi«, unterbrach Ben seinen Kollegen und zog unwillig seine rechte Augenbraue hoch. »Aber ich gebe ihm recht, Katharina. Das war saubere Arbeit und ein gutes, erstes Täterprofil.«
»Das Sternzeichen werden wir spätestens dann kennen, wenn wir ihn haben! Allerdings tippe ich auf Jungfrau, denn das passt zu solchen Typen. Ich hoffe, ich trete damit jetzt keinem der Anwesenden auf den Schlips!«, erwiderte Katharina deutlich frecher, als sie eigentlich wollte. Warum musste Tobi sie aber auch provozieren?
Tobias räusperte sich gekünstelt: »Doch, mir. Ich bin nämlich Jungfrau. Zumindest vom Sternzeichen her.« Er lachte, doch es klang nicht ganz ehrlich.
»Sorry, Tobias, das musst du abkönnen. Ich bin mir absolut sicher mit dem, was ich euch eben gesagt habe. Aber mehr war in der Kürze der Zeit noch nicht drin. Ich hoffe, dass wir noch weitere Hinweise bekommen, die ich einbringen kann, und werde natürlich dran bleiben.« Katharina sah Ben nun direkt an, obwohl es ihr schwerfiel, doch sie glaubte, in seinen Augen zum ersten Mal so etwas wie ehrlichen Respekt zu erkennen. Und irgendwie auch einen Ansatz von Sympathie …
15.47 Uhr
Katharina ging forschen Schrittes durch die Große Bäckerstraße, ohne die vielen einladenden Geschäfte und den Trubel in der belebten Fußgängerzone auch nur eines Blickes zu würdigen. Sie wollte einfach nur in ihre Wohnung, nach Bummeln stand ihr nicht der Sinn. Das hätte ihr schlechtes Gewissen nur noch verstärkt. Ben Rehder hatte sie für heute nach Hause geschickt, mit dem tatsächlich freundlich wirkenden Hinweis, dass die Nachtschicht für die Erstellung des Profils ihre Spuren hinterlassen habe, und sie erst morgen früh wiederkommen solle. Bis dahin würden er und vor allem Tobi weitermachen. Nur Katharina selbst konnte das schlechte Gewissen erklären, denn sie allein wusste, dass ihr Schlafmangel nicht ausschließlich mit ihrer Tätigkeit als Profilerin zu tun hatte. In der Tat war sie aber zu müde gewesen, um sich der gut gemeinten Anweisung ihres Chefs zu widersetzen. Also hatte sie ihre Sachen gepackt und sich auf den Weg nach Hause gemacht. Nach Hause …
Sie bog in die Münzstraße ein. Die Straße, in der sie seit ihrer Ankunft ein neues Zuhause zu finden versuchte. Doch das begehrte Gefühl von ›nach Hause kommen‹ war für die junge Kommissarin noch in weiter Ferne. Sie fragte sich, ob sie das hier überhaupt erreichen würde, und schalt sich selbst gleichzeitig für ihre Ungeduld. Was hatte sie denn erwartet? Dass sie nach wenigen Tagen in einer neuen Stadt, nach allem was passiert war, einfach einen sauberen Neustart hinlegen würde? Sie musste einfach ihre Erwartungen zurückschrauben, sonst würde sie hier nie glücklich werden. Und dabei war sie in der vergangenen Nacht für ein paar kurze Stunden gar nicht so weit davon entfernt gewesen … vom glücklich sein … Katharina hing noch immer ihren Gedanken nach, als sie die schwere Haustür des Mehrfamilienhauses aufschob und den Schlüssel zu ihrer Wohnungstür aus der Tasche zog. Die Tür zur Nachbarwohnung war nur angelehnt, und sie glaubte, die Stimme ihrer Nachbarin Juliane und ein weinendes Kind zu hören. Gerade als Katharina den Schlüssel ins Türschloss schieben wollte, hörte sie Juliane aufgeregt aber bestimmt sagen: »Dann rufe ich jetzt die Polizei!«
Das konnte Katharina beim besten Willen nicht ignorieren. Mit zwei Schritten war sie an Julianes Wohnungstür angelangt, klopfte beherzt an die offene Tür und rief: »Juliane, Leonie – alles in Ordnung bei euch? Ich bin’s, Katharina von nebenan!«
Sie hatte das letzte Wort kaum beendet, als Juliane mit geröteten Wangen und leicht panischem Blick vor ihr stand und sagte: »Laura ist verschwunden – sie ist weg, einfach weg!«
Mit den Worten »Ich bin Polizistin, und du erzählst mir jetzt erstmal alles in Ruhe«, schob Katharina ihre Nachbarin mit sanftem Druck in deren Wohnzimmer, wo Leonie mit einer weiteren Frau, deren Gesicht tränenüberströmt war, auf dem Sofa saß.
»Das ist Yvonne, Yvonne Ronneburg, die Mutter von Laura«, erklärte Juliane. Und an Yvonne gewandt: »Das ist Katharina, meine neue Nachbarin.
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