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Blutherz - Wallner, M: Blutherz

Blutherz - Wallner, M: Blutherz

Titel: Blutherz - Wallner, M: Blutherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wallner
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es nicht stehen blieb. Jetzt sitze ich auf dem faulsten Maultier Rumäniens, und nicht Teddie begleitet mich, sondern Richard. Statt wehender
Mäntel haben wir kratzende Kutten an, und doch – sie lächelte bei dem Gedanken – so wie es ist, gefällt es mir.
    Mit jedem Höhenzug, den sie erklommen, wurde der Ausblick weiter, endloser; Sam kam es vor, als ritten sie in einem unbesiedelten Land. Es gab Momente, in denen sie kaum glauben konnte, was sie sich zutraute: Eine Hochschwangere war sie, in ihrer Beweglichkeit durch das Kind schon stark eingeschränkt, siebzehn Jahre war sie alt, eine Fremde in diesem Land, ungeübt im Reiten, unerfahren in den Bergen – und trotzdem ließ sie ihr Maultier hoch und höher steigen. War das Ziel, das vor ihr lag, denn wirklich unausweichlich? Durfte sie ihren Ahnungen und Träumen so weit folgen, dass sie sich in eine solche Gefahr begab? Die traumwandlerische Sicherheit, mit der sie diesen und keinen anderen Weg einschlug, erschien ihr plötzlich naiv und zweifelhaft. Sie kannte sich sonst als handfeste Person, die noch nie irgendwelchen Visionen hinterhergejagt war. Sam sehnte sich nach klaren Verhältnissen, nach Ruhe und Geborgenheit, sie sehnte sich nach einem Zuhause. Ihre Eltern fielen ihr ein, die beiden unauffälligen Menschen in der kleinen Stadt. Hätte man Sam gefragt, wo sie in diesem Moment am liebsten wäre, die Antwort hätte Lower Liargo gelautet. Sie hatte John und Louise mit keinem Wort mitgeteilt, wohin sie unterwegs war; wenn ihr dort oben etwas Schlimmes geschah, wussten ihre Eltern über nichts Bescheid.
    »Dort!« Auf einem Felsvorsprung, von wo man ein gutes Stück in die Höhe sah, zeigte Richard auf den Ort, der nun in greifbarer Nähe lag.
    Sam seufzte; sie konnte sich einreden, was sie wollte, es half nichts: Diesen Ort hatte sie bereits im Traum gesehen. Abweisend war das Bauwerk, bedrohlich und zugleich von verlockender Anziehungskraft. Vor dem Tor war die Zugbrücke
heruntergelassen und das Gitter mit den glänzenden Spitzen hochgezogen. Kein Zweifel, man erwartete sie.
    Richard schaute nicht zu dem dunklen Eingang hinauf, sein Blick war ins Land gerichtet. Er schüttelte die Kapuze vom Kopf und sog die Luft ein. Als er zu sprechen begann, war die Stimme des jungen Mannes verändert.
    »Unruhe und unablässig drohende Gefahr schlummern seit Urzeiten in diesem Land. Ein Auf- und Untertauchen von Völkern fand hier statt, das lange vor Christus begann. Es durchwehte alle Zeiten wie ein mächtiger Atem, diese Unruhe bestimmte den Pulsschlag Transsylvaniens, sie ist das Gesetz, das hier herrscht. Als die Reiterhorden Dschingis Khans ins Abendland einbrachen, besetzten sie zuallererst dieses Hochland. Auch die Hunnen hatten denselben Weg genommen und waren von hier aus bis an die Tore Roms vorgestoßen. Anderthalb Jahrtausende nach ihnen warfen die sowjetischen Generäle beim entscheidenden Ansturm auf die zurückweichenden deutschen Heere ihre stärksten Truppen ebenfalls in die Gebirgszüge Transsylvaniens. Hier ist der Kräfteschnittpunkt, der geomantische Ort, den die Menschen aller Epochen immer gespürt haben.«
    »So wie beim Hadrianswall?« Samantha hatte ihr Maultier nahe an Richard herangeführt.
    »Gewaltiger und unmittelbarer«, antwortete er. »Dieses Land wurde immer von elementaren Vorgängen erschüttert. Hier berühren sich Kräfte, so unversöhnlich wie Feuer und Wasser und stets im Zeichen der Umwälzung.«
    »Woher weißt du das?« Noch nie hatte sie ihn so sprechen gehört.
    »Das ist nicht auf meinem Mist gewachsen.« Er schob die Brille hoch und warf einen Blick zum Himmel: Die Sonne war an dem dicht verhangenen Tag keine Gefahr für den Vampir.
»Ich habe es gelesen. In einem Buch, das gleichermaßen in die Vergangenheit wie in die Zukunft blickt. Einem Buch, das die Urzeit der Menschen genauso kennt wie das Heute und das Morgen.«
    »Wer hat es geschrieben?« Ein Blick in Richards Augen genügte. »Fortriu«, wusste Sam die Antwort von selbst.
    Er nickte. »Fortriu schreibt: In den Jahrhunderten ungeheuerlicher Kriege konnte sich bis heute keines der Völker in unserem Land behaupten. Sie wurden aus dem Vulkantrichter der Landschaft hinausgeschleudert, sie erloschen, wurden von Stärkeren erbarmungslos zerbrochen und vernichtet. Sie versanken, versickerten in den Schüben neu hereinbrechender Stämme. Und es werden immer neue wilde und todesverachtende Völker aus sämtlichen Richtungen der Windrose in den Bannkreis der

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