Blutherz - Wallner, M: Blutherz
Strapazen auf sich genommen, um hier draußen, in der weißen Wüste, zugrunde zu gehen. Sie würde ihr Kind, das schwer in ihrem Innern wog, nicht dem Tod durch Erfrieren aussetzen. Sie würde sich retten, sie würde ihr Kind retten …
Doch der Zorn und alle Ausdauer halfen nicht gegen die turmhohen Steine, die sie umgehen, den brüchigen Schotter, über den sie klettern musste. Samantha hörte das Tosen nicht mehr, den unausgesetzten Sturm. Sie spürte nicht, dass ihre Haut an vielen Stellen aufgeplatzt war und die Wunden augenblicklich gefroren. Und irgendwann war es zu Ende. Als sie die nächste Kurve umblickte und der Zugang zu jenem Haus immer noch nicht zu erkennen war, sank Samantha in die Knie. Umsonst kam Richard zu ihr gelaufen, knurrte, winselte, biss sie sogar, um sie zum Aufstehen zu bewegen. Sam rührte sich nicht mehr.
40
D as Merkwürdigste war der Geruch. Träge und übel lastete er im Zimmer. Ein Zimmer? Ja, ein niedriger Raum mit Holzdecke, schwere Balken trugen das Dach, die Wände waren grob mit Lehm verputzt. Es war kein richtiges Bett, in dem Sam lag, bloß ein Lager, ein mit Stroh gefüllter Sack; aus einer Decke hatte ihr jemand ein Kissen gemacht. Sie lag unter einem Tierfell. Als ihre Finger darüberglitten, entdeckte sie den Verband; jemand hatte ihre Hand bandagiert, in ihren Fingern juckte es. Ihr war warm, behaglich und schlaftrunken zumute; aufgeweckt hatte sie der Geruch. Es stank, als würden Innereien mit etwas sagenhaft Ekelhaftem verkocht. Sam wollte das Fenster öffnen und richtete sich vorsichtig auf. Da hörte sie einen Sprung, ein Schlurfen, schon stand einer in der Tür, wie man ihn nicht alle Tage sieht. Ein Mann, vielleicht auch ein Bursche; er hatte einen kahlen Schädel, aber keine Glatze. Es sah aus, als sei ihm das Haar vom Kopf gefressen worden. Auffällig waren die weit auseinanderstehenden Augen, verschwindend darunter die Nase, dafür besaß er einen Mund von unnatürlicher Breite. Der Rest des Gesichtes verschwand in dem massigen Körper, den eine hellgraue Kutte bedeckte. An einem Fuß trug er einen Stiefel, am anderen aber nicht. Dieser Fuß war nackt und von ungewöhnlicher Größe.
»Guten Abend«, flüsterte Sam. »Haben Sie mich gerettet?«
»Khh«, machte er und riss den Kopf herum. »Khh!«, rief er.
Darauf waren weitere Schritte zu hören, Richard kam herein. Der Vampir hatte wieder seine Menschengestalt angenommen; wie der andere trug auch er eine Kutte.
»Richard!« Ihre Erleichterung war groß. »Wo sind wir? Ist
das … ein Mönch?«, fragte sie leiser, da sie nicht sicher war, ob der Kahlkopf ihre Sprache verstand.
»Das ist Bogdán Voronedz. Ihm gehört dieser Hof. Ihm verdankst du, dass du noch am Leben bist.«
»Khh«, machte Voronedz zur Bekräftigung.
Sam schaute zwischen den beiden hin und her. »Hat er gesehen, wie du dich zurückverwandelt hast?«
»Durch ihn wurde es überhaupt erst möglich.« Richard stellte sich neben den Gastgeber. »Meinetwegen hat Bogdán einen Bock geschlachtet.«
»Was für einen Bock?«
»Boo – khhh!« Das Wort zauberte ein Grinsen auf Voronedz’ Gesicht. Er schlurfte hinaus und kam mit einem Ziegenschädel zurück. »Booo – kkhh!«, triumphierte er.
Die toten Augen des Ziegenbocks waren auf Sam gerichtet, das Maul wie zum Schrei geöffnet; angewidert wandte sie den Blick ab.
»Weshalb war das nötig?«
»Ich hatte keine Kraft mehr. Ich hätte mich speisen müssen, aber …« Richard senkte den Kopf. »Aber nicht einmal als Wolf bringe ich es über mich, ein Lebewesen anzufallen und auszusaugen.«
»Dann weiß Mr Voronedz also …« Unauffällig zeigte Sam auf den Hausherrn, »… was du in Wirklichkeit bist?«
»Ja, natürlich.«
»Ist er auch einer – von euch?«
»Nein, das würden sie nicht dulden.« Richard versenkte die Hände in den Ärmeln der Kutte.
»Sie?« Sam kam auf die Ellenbogen hoch.
»Die Brüder des Ordens. Fortrius Ritter.«
»Ritter?« Samantha war jetzt hellwach. »Ich dachte, das sind Untote, so wie dein Vater.«
»Oh nein«, erwiderte Richard. »Die Ritter sind anders, sie sind außergewöhnlich.«
»Mach’s nicht so spannend. Bevor wir da raufgehen, möchte ich wissen, was sind das für Leute?«
Er zögerte mit der Antwort. »Ich weiß es selbst nicht genau. Fortrius Ritter sollen wie wir Vampire ein Alter erreichen, das weit über jedes menschliche Maß hinausgeht. Andererseits heißt es, sie würden sich nicht von Blut speisen, sondern …« Er räusperte
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