Blutherz - Wallner, M: Blutherz
ängstigte ihn bis in die Tiefe seines gespaltenen Herzens. Der Wolf, der Vampir, der junge Mann, der das schwangere Mädchen mehr liebte als jedes andere Wesen auf der Welt, spürte, dass sich dort drüben sein und Samanthas Schicksal erfüllen würde.
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D as Mädchen und der Wolf gingen nebeneinander. Zuerst hatten sie vorgehabt, zum Wagen zurückzukehren, doch als sie nahe der Schlucht auf einen Pfad stießen, waren sie ihm gefolgt. Sie hatten einander angesehen und im Blick des anderen gelesen, dass es keinen Sinn hatte, nach dem normalen Weg zu suchen, die gewöhnliche Route dorthin zu nehmen, wo ihr Ziel lag. Es war nicht nötig, wieder in ihre Verkleidung zu schlüpfen und sich den Anschein eines harmlosen Touristenpärchens zu geben. Um in die Festung jenseits des Abgrunds zu gelangen, mussten sie anders sein, außergewöhnlich, einmalig.
Sam staunte auch nicht darüber, dass ihr nicht kalt war. Ihr Mantel und die Jacke waren verloren gegangen; es war Dezember und sie befanden sich hoch in den Bergen – aber Sam fror nicht. Während sie in der Annahme weitergingen, der Bergrücken würde sich irgendwo senken und ins Tal führen, während sie hofften, auf diese Weise den Weg zur Festung zu finden, begann es zu schneien. Sam schaute hoch; das war nicht das dürftige Nieseln, das man in London für Schnee hielt, wenn der Regen sich in Eisstaub verwandelte. Hier fielen dichte Flocken, groß wie Federn und so kalt, dass sie Sams rotes Haar binnen Kurzem mit einem weißen Schleier überzogen. Mit ausgebreiteten Armen blieb sie stehen und schaute blinzelnd in die herabsinkende Pracht. Auch der Wolf hob den Blick, die Flocken schmolzen auf seiner dampfenden Schnauze. Das Wetter änderte sich weiter. War der Schnee zuerst sanft und lautlos herabgekommen, wurde er bald vom Wind vor sich hergepeitscht; wie mit Messern schnitt er den Wanderern ins Fleisch. Der Wolf mit seinem dichten Fell ertrug
das Gestöber, Sam aber wurde von den Böen hin und her gerissen. Zitternd, die Arme um sich geschlagen, stellte sie sich in den Windschatten eines Baumes. Der Wolf kam dicht an seine frierende Begleiterin heran und legte sich vor ihr in den Schnee.
»Was soll das?« Sie klapperte mit den Zähnen. »Warum läufst du nicht weiter?« Sie wollte über ihn drübersteigen, er packte ihren Fuß sanft mit den Zähnen. »Willst du rasten?«, fragte Sam und spürte die Erleichterung, die sich mit diesem Wunsch verband.
Er lief ein Stück voraus. Der felsige, schneeumtoste Grat war längst nicht mehr so hoch wie zu Beginn ihres Marsches; man konnte die Talsohle sehen. Aber selbst mit den Augen eines Wolfes war schwerlich auszumachen, ob in der Tiefe ein Haus stand. Nur ein dunkelgrau aufsteigender Schleier verriet, dass dort unten ein Feuer brannte.
Sam erreichte ihn. »Wer wohnt in dieser Einöde?« Sie spürte Arme und Beine, auch ihr Gesicht nicht mehr, daher war es gleichgültig, wer im Tal hauste: Dieses Gemäuer und das Feuer, das darin brannte, waren die einzige Chance, nicht zu erfrieren.
So schnell sie noch konnte, machte sich Sam an den Abstieg. Der Wolf umsprang sie, hielt sie von eisigen Abbrüchen fern, er bellte und heulte, wenn sie vor Entkräftung zu Boden zu sinken drohte. Die Senke kam näher, auch das Haus zeichnete sich allmählich in Konturen ab, aber an jeder Wegkehre wurde Samantha wieder enttäuscht; das Ende des Pfades war noch nicht erreicht. Sie bückte sich, um einen losen Schnürsenkel zu binden, und bemerkte, dass sich ihre Finger nicht mehr bewegen ließen. Erschrocken hielt sie die blau gefrorenen Glieder vor den Mund. Der Atemhauch wurde zu eisigen Nadeln, die sich auf die gefühllosen Finger legten. Sie
schob die Hand unter die Achsel und bewegte sie rhythmisch. Ihre Augen waren blind von Schnee, die Wimpern drohten zusammenzufrieren. Richard lief voraus, kam zurück, stieß sie mit der Schnauze an; sie kletterten über den nächsten vereisten Höcker. In ihrer Ausbildung zur Krankenschwester hatte Sam gelernt, dass Gleichgültigkeit und Schlafsucht die deutlichsten Anzeichen waren, dass ein Mensch erfror. Das einzige Mittel dagegen war Gehen. Auch wenn jeder Hügel sie zum Hinsetzen aufforderte, wenn sie meinte, die nächste Kehre nicht mehr zu schaffen und ins Geröll zu stürzen, Samantha schleppte sich voran. Sie starrte ihre Schuhe an; Schritt für Schritt kamen sie unter ihr zum Vorschein. Was sie weitertrieb, war ein Gefühl von Trotz. Sie hatte nicht all diese Ängste und Nöte, diese
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