Blutherz - Wallner, M: Blutherz
erklären, sie fürchtete sich davor, gleichzeitig genoss sie die Ruhe und jene phantastische Kraft, die sie durchströmte. Es war, als habe Sam England nur den Rücken zukehren und nach Transsylvanien zu kommen brauchen, um ihre wirklichen Kräfte kennenzulernen. Es ist der helle Irrsinn, so etwas auch nur zu denken, ging ihr durch den Kopf. Was sollten denn das für Kräfte sein?
In diesem Moment kam ihr der Traum in den Sinn, jener entsetzliche Albtraum, der sie hinterher heulend durch den Regen hatte laufen lassen: ihr Traum, gefesselt in einer Kirche zu liegen, die eigentlich keine Kirche war, und von Mönchen mit dem Extrakt der Barhyaghtar-Kirsche bestrichen zu werden. In diesem geträumten Zustand hatte Samantha das gleiche Gefühle von Macht und Kraft besessen, kein Hindernis hatte sie aufhalten, keine Gefahr sie abschrecken können. Was ist los mit mir, dachte sie mit klopfendem Herzen. Warum spüre ich das alles so stark? Wo gerate ich hin?
Es war mitten in der Nacht, viel zu früh also, als dass es hell werden konnte; auch der Nebel hatte sich nicht gelichtet. Und doch fühlte sich Sam geblendet. Sie hätte dieses merkwürdige Licht als ein dunkles Leuchten beschrieben. In Wirklichkeit schrak sie auf, weil sich etwas dem Auto näherte.
»Richard …«, flüsterte sie, »Dickie!« Sie fasste auf seine Seite – er war nicht da! »Oh Gott im Himmel, was ist das,
was ist das nur?« Zu Tode erschrocken, drehte sie sich in alle Richtungen, weil sie nicht sagen konnte, von wo das Unbekannte sich auf sie zubewegte. »Verdammt, Dickie, wo bist du? Warum lässt du mich jetzt allein?«
------- W-i-l-l-k-o-m-m-e-n-d-a-h-e-i-m ---------
Das war keine Stimme, die sie hörte. Es hätte der Wind sein können, der in den Bäumen rauschte, aber da draußen war es windstill; kein Blättchen regte sich.
------- J-e-t-z-t-i-s-t-e-s-n-i-c-h-t-m-e-h-r-w-e-i-t -------
So sagte dieses Etwas, dieses Nichts, das keinen Körper, keinen Mund hatte und doch eine Sprache kannte, die Samantha unmittelbar erreichte.
»Wer bist du?« Sie legte die Hände schützend über ihr Kind und starrte aus weit aufgerissenen Augen in die dunkel erleuchtete Nacht.
------ Du-kennst-mich ----- ließ sich die Stimme nun deutlicher vernehmen.
----- Du-hast-mich-immer-gekannt-Denn-ich-bin-du-unddu-bist-ich -----
»Was heißt das?!«
----- Komm-nach-Hause-Meine-Macht-schützt-dich ----- »Wer bist du?!«, rief sie in höchster Not.
------- Du-kennst-meinen-Namen-Du-kennst-ihn-seit-uralter-Zeit ------ K-o-o-o-o-m-m ------ k-o-m-m-h-e-i-m-S-a-m-a-n-t-h-a -------
Die Stimme entfernte sich, auch das Glühen der Finsternis schwand, wurde undeutlich und schließlich von der Nacht verschluckt.
»Fortriu«, sagte Sam in die Stille.
Sie hatte keinen Beweis, keinerlei Gewissheit, aber es gab keinen Zweifel in ihr, dass sie gerade mit IHM gesprochen hatte, mit Fortriu, dem Urvater, dem Mächtigsten, dem das Volk der
Vampire untertan war. Jede andere wäre in dieser Situation im schützenden Wagen geblieben, hätte ihn von innen verriegelt und auf den Sonnenaufgang gewartet, auf das heilsame Licht, das alle Dämonen ins Schattenreich verbannt. Sam aber riss die Tür auf, sprang ins Freie, achtete nicht auf den morastigen Boden, die Sträucher und Dornen, die ihr den Weg versperrten. Sie lief dorthin, wo sie meinte, die Stimme gehört zu haben. Sie rannte voll Neugier, begierig, noch mehr zu erfahren. Sie lief und strauchelte, fiel zu Boden und richtete sich wieder auf. In ihrem verrückten Tun wusste ein Teil von ihr, dass der Dämon fürchterlich von ihr Besitz ergriffen hatte und dass diese Leidenschaft sie in den Abgrund führen würde. Die andere Samantha, das Geschöpf, das vor unbändiger Kraft beinahe platzte, ließ sich nicht aufhalten. War es ein Jungwald, durch den sie sich schlug, war es Geröll, das sie übersprang? Führte der Weg in eine Schlucht oder geradewegs auf einen Gipfel hinauf? Ihr war es einerlei; der Trieb, das Umgetriebensein ließen ihr keine Entscheidung. Samantha folgte dem Ton, sie folgte dem Dunkel, folgte dem Blut. Ja, in Wirklichkeit war es ihr eigenes Blut, das ihr den Weg vorgab, das Lebenselixier, das durch ihre Adern pulste, ihr in den Ohren rauschte, ihr Herz brennend schlagen ließ. Hätte Sam sich jetzt selbst gesehen, wie sie mit fliegend rotem Haar durch das Nirgendwo taumelte, die Hände sehnsüchtig von sich gestreckt, mit geweiteten, irren Augen, kehlige Laute ausstoßend, sie hätte nicht geglaubt, dass
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