Blutige Asche Roman
hältst?« Ich parkte vor dem Haus meiner Mutter und machte den Motor aus. »Soll ich dir mit dem Gepäck helfen?«
»Das schaffe ich auch allein«, sagte sie mit eisiger Stimme. Sie stieg aus, machte den Kofferraum auf und zog mit Mühe ihren Koffer heraus. Ich folgte ihr zur Haustür.
Sie drehte den Schlüssel dreimal herum und ging hinein. Der Koffer geriet gefährlich ins Wanken, als er über die Schwelle rollte. »Hatte ich dich gebeten mitzukommen?«
»Ich brauche keine Einladung, Mama. Ich bin deine Tochter. Und ich bin noch lange nicht fertig.«
»Aber ich. Ich komme gerade aus dem Urlaub, und du gönnst mir keine Sekunde, um zu mir zu kommen.«
»Soll ich uns einen Kaffee aufsetzen?« Ich ging in die Küche und stellte die Maschine an. »Nehme ich die dunkelbraunen Kaffeekapseln? Oder lieber die goldenen?«
»Nimm ruhig die dunkelbraunen. Ich brauch jetzt was Starkes.«
Ich machte Kaffee und trug ihn ins Wohnzimmer. Meine Mutter saß auf dem Sofa, jetzt lag keine Decke darauf. Ich nahm im Sessel gegenüber Platz.
»Würdest du mir bitte erklären, was los ist, Mam?«
Sie seufzte laut, rührte in ihrer Tasse, legte den Löffel auf die Untertasse und nahm einen Schluck Kaffee. Auf den ersten Blick war sie so ruhig und gelassen wie immer.
»Ich habe mich nicht umsonst dafür entschieden, mit niemandem darüber zu sprechen, Iris. Es tut mir leid, dass du von Ray erfahren hast, aber ich möchte es gern dabei belassen.«
»Aber ich nicht. Im Gegenteil, ich werde mir seinen Fall ansehen und prüfen, ob man eine Wiederaufnahme beantragen kann.«
»Wie bitte?«
»Ray hat mich gebeten, ihm zu helfen. Und weil er mein Bruder ist, werde ich das tun. Dass du ihn all die Jahre im Stich gelassen hast, ist schlimm genug. Jetzt gibt es immerhin noch ein Familienmitglied, das sich um ihn kümmert. Außerdem kann ich ihn als Anwältin so oft besuchen, wie er will. Ich finde, wir haben so einiges gutzumachen, du nicht?«
»Ich weiß nicht, was du dir da in den Kopf gesetzt hast, aber eines kann ich dir sagen: Ray ist nicht der nette kleine Bruder, den du dir vielleicht wünschst. Ich nehme an, du weißt, warum er in der Klinik ist.«
»Die Frage ist nur, ob er wirklich schuldig ist.«
Meine Mutter schüttelte den Kopf. »Es ist mein Kind, Iris. Wenn hier jemand an seine Unschuld glauben möchte, dann ich. Aber die Wahrheit sieht leider anders aus.«
»Wie kannst du dir da so sicher sein?«
»Du kennst ihn nicht, Iris. Ray kann einen unheimlich lieben Eindruck machen, aber er ist gefährlich. Schon als Kind war er unberechenbar.«
»War das, bevor du ihn ins Heim Dwingelerheide gesteckt hast, oder danach?«
»Vergiss nicht, dass ich noch sehr jung war, als ich ihn bekam. Einundzwanzig. Mit ihm zusammenzuleben, war so gut
wie unmöglich. Du findest Aron schwierig? Da hättest du Ray sehen müssen. Ich wurde einfach nicht mit ihm fertig.«
Es fiel mir schwer zu glauben, dass es überhaupt etwas gab, mit dem meine Mutter nicht fertig wurde. Aber gleichzeitig spürte ich so etwas wie Mitleid mit ihr. Es muss furchtbar sein, wenn einem nichts anderes übrig bleibt, als sein Kind wegzugeben. Ich sah sie an. Dieser harte Zug um ihren Mund. Warum zeigte sie keinerlei Gefühle?
»Trotzdem hättest du mir von ihm erzählen müssen. Findest du nicht, dass ich von der Existenz eines großen Bruders wissen sollte?«
»Komisch, dass es immer nur um dich geht. Glaubst du, es hat mir nichts ausgemacht, meinen Sohn weggeben zu müssen? Ich liebe Ray nämlich, trotz allem, was passiert ist. Ich habe ihn immer geliebt und werde ihn auch immer lieben. Dass ich mich von ihm verabschieden musste - und jetzt hör mir gut zu, Iris -, verabschieden musste , hat mir sehr wehgetan. Aber anstatt dich in mich hineinzuversetzen, beziehst du alles wieder nur auf dich. Du tust ja gerade so, als ob ich dir was getan hätte. Dabei kannst du froh sein, dass Ray nicht mehr da war, als du auf die Welt kamst. Dann wäre deine Kindheit nämlich nicht so idyllisch gewesen, das kannst du mir glauben.«
»Ich finde es wirklich schlimm für dich, Mama, ehrlich. Aber würdest du mir bitte mehr von Ray erzählen? Ich möchte es so gern verstehen.«
»Ich habe mich entschieden, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Und das musst du respektieren.« Ihre Tasse wurde mit einem lauten Knall auf dem Tisch abgesetzt. Sie stand auf, nahm ihren Koffer und zog ihn ins Schlafzimmer, ohne mich noch eines Blickes zu würdigen.
Ich folgte ihr, noch hatte ich
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