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Blutige Fehde: Thriller (German Edition)

Blutige Fehde: Thriller (German Edition)

Titel: Blutige Fehde: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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regelmäßig, auf seinem Gesicht zeigte sich keinerlei Nervosität.
    »Wie können Sie eigentlich damit leben?«, fragte Lennon. »Solche Leute wie Sie. Leute wie dieses Tier, das ich am Krankenhaus festgenommen habe. Wie könnt ihr noch in den Spiegel schauen? Wie kommt ihr mit euch selbst zurecht, wenn ihr allein seid?«
    Fegan schaute durch das Seitenfenster auf die vorbeiziehendeLandschaft. Falls Lennons Worte irgendetwas in ihm auslösten, zeigte sich auf seinem Gesicht davon jedenfalls nichts.
    »Ich denke immer an das, was ich getan habe, die Dinge, für die ich mich schäme. Mir wird ganz schlecht bei dem Gedanken. Wie halten Sie es nur aus, zu …«
    »Hören Sie auf damit«, sagte Fegan.
    »Wie können Sie …«
    »Hören Sie auf«, sagte Fegan. Seine Stimme war hart wie eine Faust. Er wandte den Blick vom Fenster ab und sah Lennon an.
    Lennon schluckte seine Vorwürfe hinunter und blickte starr auf die Straße vor sich. Schweigend fuhren sie weiter. Vor ihnen erstreckte sich die Autobahn in den grauen Morgen.
    Mit beruhigender Stimme wies ihnen das Navigationsgerät des Audis den Weg. Eine Frauenstimme, so kultiviert und ruhig, als wäre die Welt immer noch in den Angeln. Bislang hatte Lennon schon zweimal am Straßenrand anhalten müssen, um sich zu übergeben. Die Angst war ihm auf den Magen geschlagen. Während ihm die Nasenlöcher und die Kehle brannten, hatte Fegan ihm aus kalten Augen ungerührt zugesehen, was ihn selbst nur noch mehr aussehen ließ wie ein Weichei.
    Der Tacho zeigte 140 km/h, als sie die letzte Ausfahrt nördlich von Boyne erreichten. Die körperlose Stimme des Navigationsgeräts wies Lennon an, hier in Richtung Torrans House abzufahren. Ein Sanatorium, ein Ort, wo alte Menschen ihre gebrochenen Hüftgelenke auskurieren konnten. Ein Ort, wo Bull O’Kane seine zerfetzten Weichteile und sein ruiniertes Knie pflegen konnte, Verletzungen, die ihm von Lennons Beifahrer zugefügt worden waren. Auch der andere Mann würde dort sein, der aus dem Süden. Er hörte sich an wie ein Zigeuner, aber Lennon glaubte nicht, dass er wirklich einer war. Zwei Monster unter einem Dach, die das einzige Gute gefangen hielten, was er jemals in dieser Welt zustande gebracht hatte.
    Und nun beförderte Lennon noch ein drittes Monster an diesen Ort. Diese Vorstellung allein löste in ihm schon wieder einen Brechreiz aus, aber er unterdrückte ihn und nahm die Abfahrt.
    Ohne nennenswert abzubremsen, fuhr er auf den Kreisel zu. Als er in den frühmorgendlichen Verkehr hineinraste, blitzten Scheinwerfer auf, Reifen quietschten, und Hupen ertönten. Fast wären er und Fegan geendet wie zwei Motten auf einer Windschutzscheibe.

83
    Orla O’Kane beugte sich über ihren schlafenden Vater. Er schnarchte unregelmäßig, und ein Spuckefaden lief ihm über das Kinn, als sei ihm eine Schnecke aus dem Mund gekrochen. Der Mann war nur noch eine Hülle, ein Hautsack, der schlaff über seinen alten Knochen und seinem Hass hing. Nichts mehr war übrig von dem unbeugsamen Koloss, dem kampfeshungrigen Schlachtross. Er war nur noch ein alter Mann, der nicht mehr genügend Verstand besaß, um seine wahren Feinde zu erkennen. Ein bezwungener Riese.
    Sie streckte die Hand aus und glättete das verworrene weiße Haar auf seinem Kopf. Dabei erfüllte sie eine so große Liebe, dass sie meinte, ihr zerspränge das Herz. Sie zog ein Papiertaschentuch aus dem Ärmel und tupfte damit den Speichel ab.
    Orla wusste selbst nicht mehr, wie oft sie sich schon gegen das panikartige Gefühl hatte wehren müssen, dass ihr Vater die Welt, die er für sie erschaffen hatte, nicht mehr im Griff hatte, sondern unkontrolliert dahingaloppieren ließ. Diese Welt würde niederbrennen, zusammen mit allem, was Orla je vertraut gewesen war.
    Und niemand würde diesen Niedergang betrauern.
    Orla dachte an das kleine Mädchen dort oben. Die Mutter würde es nicht mehr lange machen. Selbst wenn jemand sie noch ins Krankhaus gebracht hätte, ihre gräuliche Haut verriet, dass es zu spät war.
    Aber das kleine Mädchen.
    Vielleicht würde Bull, wenn die ganze Sache ausgestanden war, das kleine Mädchen ja am Leben lassen. Er war schließlich kein Ungeheuer, das wusste Orla. Ganz gewiss war sie nicht von einer Bestie aufgezogen worden.
    Nein, wirklich nicht. Wenn alles erledigt war, würde das kleine Mädchen weiterleben. Und das kleine Mädchen würde ja auch einen Ort brauchen, wo es weiterleben konnte. Ein Zuhause. Orla hatte in Malahide ein Haus mit Blick

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