Blutige Rache
mir. Um sechs«, sagte Davenport.
»Bis später.«
Virgil holte seine Sachen aus der Hütte, warf sie in den Truck und besorgte sich ein Bier für die Fahrt nach Süden. Die Anglerin, die gerade dabei war, das kleine Mädchen in einen neuen Mercedes-Kombi zu schieben, nickte Virgil zu und fragte: »War das eine Art konspiratives Treffen?«
»Wie bitte?«
»In der Bar hat man mir erzählt, dass Sie für die Staatspolizei in einem Mordfall ermitteln. Sie hatten alle schwarze Sportjacken an, vermutlich mit Waffen drunter, und die anderen Typen sahen wie Gangster aus.«
»Tja, dann war’s wohl ein konspiratives Treffen«, sagte Virgil. »Aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das für sich behalten.«
»Mm, wird gemacht. Sie sind Virgil Flowers, stimmt’s?«
»Ja, Ma’am.« Er bemerkte die kleinen Goldtupfen in ihren Augen.
»Tragen Sie eine Waffe?«
»Ja, Ma’am.«
»Wow. Ich heiße übrigens Loren Conrad.«
»Erfreut, Sie kennenzulernen, Ma’am.«
Sie zögerte kurz, bevor sie die Wagentür öffnete. Das kleine Mädchen musterte Virgil ernst durch das Fenster auf der Beifahrerseite. »Wenn Sie irgendwann unter der Woche hier vorbeischauen, könnten wir zusammen angeln gehen.«
SIEBZEHN
Beim Fahren dachte Virgil über die Frau mit dem Mädchen nach. Waren das Avancen gewesen? Was hatte die Traurigkeit im Blick der Kleinen zu bedeuten? Sprach ihre Mutter nicht zum ersten Mal fremde Männer an, wenn Dad nicht da war?
Das Ganze erschien ihm weniger wie eine Einladung zu einer Affäre, eher wie der Beginn einer Geschichte. Einer Shortstory.
Virgil hatte sich in der Collegezeit mit Shortstorys beschäftigt, hielt jedoch den Journalismus für unmittelbarer und realistischer. Mit zunehmendem Alter wurde ihm allerdings das Auseinanderklaffen von in Berichten dargestellten und tatsächlichen Ereignissen bewusster. Leben und Fakten waren so komplex, dass man kaum je mehr als einen Teil davon erkannte. Kurzgeschichten und auch Romane hingegen bemühten sich immerhin um die Wahrheitsfindung.
Er war so tief in Gedanken versunken, dass er fast einen Nerz überfahren hätte, der aus dem Straßengraben kam und über die Straße laufen wollte. Er bereitete sich schon innerlich auf das knirschende Geräusch vor, doch als er in den Rückspiegel schaute, sah er das Tier unverletzt in die Dunkelheit huschen.
Gott sei Dank.
Die Sommersonnenwende war kaum einen Monat vorbei, weswegen die Sonne noch hoch am Himmel stand, als er von der I-94 abfuhr, in südlicher Richtung in die Cretin Avenue in St. Paul einbog, einen Golfplatz passierte, den Truck auf die Randolph lenkte und schließlich zu Davenports Haus am Mississippi River Boulevard.
Er stellte den Wagen auf der Straße ab, um den drei bereits in der Auffahrt geparkten Autos nicht den Weg zu versperren. Der Geruch von gegrilltem Fleisch stieg ihm in die Nase, und er hörte Leute plaudern. Er ging um die Garage herum und durchs hintere Tor, wo Weather, Davenports Frau, ihn entdeckte und ausrief: »Virgil Flowers!«
Hinter ihr stand Davenport mit Sloan, einem früheren Beamten der Polizei von Minneapolis, der inzwischen eine Bar führte, und dessen Frau; dazu kamen sein SKA-Kollege Del Capslock und dessen schwangere Gattin, die bebrillte Nonne Elle, eine Freundin Davenports aus Kindertagen, Davenports Schützling Letty, die vermutlich bald zu einer strahlend schönen jungen Frau heranwachsen würde, und Davenports kleiner Sohn Sam.
Weather trat zu Virgil und kniff ihn in die Wangen. »Höchste Zeit, dass Sie kommen«, begrüßte sie ihn.
Er drückte sie kurz. »Warum brennen wir zwei nicht einfach miteinander durch?«
»Weil Sie dann keinen Job mehr hätten und ich Sie durchfüttern müsste.«
»Nein, dann wär er tot, und du müsstest ihn nicht mehr durchfüttern«, korrigierte Davenport sie.
»Aber ein paar schöne Tage in einem Motel 6 in Mankato wären die Sache vielleicht wert«, meinte Virgil.
»Wo Sie recht haben, haben Sie recht«, pflichtete Davenport ihm bei.
Elle, Nonne und ausgebildete Psychologin, bemerkte belustigt: »Ihr Männer denkt wirklich immer nur an das Eine.«
»Hört, hört, da spricht unsere Seelenklempnerin«, sagte Del.
»Gib dem armen Jungen einen Hamburger, und dann soll er uns die Neuigkeiten erzählen«, forderte Elle Davenport auf und klopfte auf die Sitzfläche eines Stuhls neben sich. »Setzen Sie sich zu mir, damit ich Ihnen Fragen stellen kann.«
Del hatte im Vorfeld des republikanischen
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