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Blutige Spuren

Blutige Spuren

Titel: Blutige Spuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Liemann
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bei seiner Frau oder wegen einer Falte weniger in ihrem Gesicht kein aufmerksamerer Gatte werden. Auch nicht bei fünfzig Kilo weniger und einem Generallifting. Er hätte hinzugefügt, dass er nicht wisse, wie diese spezielle Beziehung zu beleben sei, aber er verordne ihr, jede zweite Trainingsstunde ausfallen zu lassen und in dieser Zeit zu überlegen, was sie tun könne. Es sei auch erlaubt, mit dem Gatten zu sprechen …
    Wenn sie immer noch nicht verstanden hätte und wenn sie auf ihre Fortschritte beim Spinning gepocht hätte, wäre er drastischer geworden. Sie solle die Arbeit an ihrem Körper einstellen und an ihrem Charme arbeiten. Eine Viertelstunde würde reichen. Natürlich hätte der Mann die gleiche Pflicht, aber der habe ja nicht angerufen.
    Im besten Fall hätte die Frau zugestimmt, es mal mit Charme zu versuchen. Sie hätte aufgelegt und vergessen. Schließlich war sie so sehr in ihrem geistigen, seelischen und tatsächlichen Tretrad gefangen, dass sie es als notwendig empfand, eine Not-Rufnummer anzuwählen. Er musste erst einmal sehen, in welcher Phase sie sich befand. Es half nichts, mit Wegweisern zu wedeln, wenn sie noch gar nicht wusste, dass sie einen Weg suchte.
    Also nahm er sich die zwanzig Minuten Gespräch vor, die bei ihm in derartigen Fällen die Norm waren. Es wurden dreißig, aber nur, weil sie am Ende noch ein bisschen flirteten. Er konnte sich dann eine Bemerkung nicht verkneifen: Wenn sie zu ihrem Mann so charmant sei wie jetzt gerade zu ihm … Weiter konnte er nicht sprechen, sie beendete den Satz mit ihrer eigenen Weisheit.
    Sie lachten beim Abschied. Sternenberg notierte die Grunddaten im Tagebuch und machte sich einen Kaffee.
    Aus dem anderen Zimmer kam seine » Kollegin « . Sie trug eine schwarze Lederhose und hohe Stiefel und hatte neuerdings eine Haartolle, die ihr weit über die Augen hing, wenn sie sie nicht gerade hochschob. Er mochte sie seit langem. Sie zogen sich gegenseitig auf. Er spielte ihr ein paar Anzüglichkeiten wegen ihrer Kleidung vor, und sie zeigte ihm, wie eine Prostituierte läuft und einen Kunden anmacht. Man lachte laut bei der Telefonseelsorge.
    Dann klingelte wieder das Telefon. Sternenberg übernahm.
    Der Mann stöhnte leise.
    Sternenberg lehnte sich langsam im Sessel zurück, damit es nicht quietschte.
    Der Mann sagte schwach, er wisse nicht mehr weiter.
    Sternenberg achtete auf jedes Geräusch. Es war etwas unruhig. Der Mann schien irgendwas nebenbei zu machen.
    Sternenberg fragte ihn danach. Nein, sagte der Mann. Das Geräusch hatte aufgehört.
    Der Mann erklärte, er würde sich jetzt umbringen.
    Sternenberg hörte wieder auf alles, was es zu hören gab. Auch auf sich selbst. Sein Körper spannte sich an.
    Was passiert?, fragte er sich. In solchen Momenten ist unzensierte Phantasie gefragt. Entweder spannte der Mann einen Revolver. Männer bringen sich mit stärkeren Mitteln um als Frauen. Manche Menschen wollen nicht Hilfe am Telefon, sondern Begleitung in den Tod. Vielleicht auch nur einen Zeugen. Jemanden, der wusste, dass sie sich umbringen. Suizidale sind die größten Egozentriker. Oder …
    Sternenberg wiederholte die Aussage des Mannes.
    Ja, der bestätigte. Er wolle sich das Leben nehmen.
    Und wie?, fragte Sternenberg.
    Stille. Ich springe aus dem Fenster.
    Aha. In welchem Stock wohnen Sie?
    Ob er nicht wissen wolle, wo er wohne.
    Nein, sagte Sternenberg. Das hier ist anonym. Welcher Stock?
    Dritter.
    Na, sagte Sternenberg, dann springen Sie mal.
    Der andere war perplex.
    Sternenberg wartete.
    Es raschelte und scharrte im Hörer.
    Sternenberg lehnte sich zurück und genoss seinen Kaffee, auch wenn er nicht so gut war wie der Kaffee am Morgen beim Panorama über das Steinachtal mit den aufsteigenden Dunstwolken und dem tiefgrünen Fichtenwald. Er wartete und grinste.
    Es raschelte und giggelte im Hörer. Dann kam das Lachen einiger Männer. Dann kamen die üblichen Beleidigungen und noch mal Lachen.
    Haben wir’s dann, fragte Sternenberg.
    Mit einer einfallslosen Abschlussbeleidigung legte der Joker auf.
    Sternenberg zog das Tagebuch heran und erledigte die Statistik.
    Noch ehe er aus dem Schreibtischsessel aufstehen konnte, klingelte es erneut auf seiner Leitung.
    » Telefonseelsorge. Guten Morgen. «
    Ein Mann atmete hörbar. Die Leitung war aber anders als bei den Spaßvögeln davor.
    » Sie können mit mir reden « , sagte Sternenberg so neutral wie möglich und wartete.
    » Kann ich bei Ihnen etwas beichten? « , fragte der

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