Blutige Tränen (German Edition)
bei diesem Licht gar nicht bedrohlich aussahen.
»Ich würde auch gern fliegen können«, sagte er leise. »Einfach hier drüberklettern und springen und der Wind trägt mich.«
Er machte Anstalten, über das eiserne Geländer zu klettern. Doch Lance hielt ihn fest und zog ihn dicht an sich heran.
»Mach’ keinen Blödsinn ...« Er drückte seine Lippen auf Silks Mund und küsste ihn gierig, bis er spürte, dass der Junge in seinen Armen ganz weich und willig wurde.
»Herr, seid Ihr hier oben?«
Lance seufzte unhörbar. »Ja, was gibt es?« Er ließ Silk los und beobachtete, wie einer seiner Wächter die steinerne Treppe erklomm.
»Herr – Dismaldo wurde gefunden!«
In Lances dunklen Augen erschien ein kaltes Feuer. »Das ist doch mal eine erfreuliche Nachricht. Wo habt ihr ihn gefangen genommen?«
»In der Nähe von Singaril, in einem kleinen Vorort.«
»Foltert ihn – aber bevor er stirbt, möchte ich noch mit ihm reden.« Lance grinste boshaft, sein Mund war hart. »Also schneidet ihm nicht die Zunge heraus.«
Der Wächter nickte; seine Miene zeigte keinerlei Emotionen.
»Wer ist Dismaldo?« wollte Silk wissen, als sie wieder allein waren.
»Ein Verräter.«
»Du willst ihn wirklich foltern und töten lassen?« Silks Stimme war ganz leise geworden. Er wollte das einfach nicht glauben.
Lances Blicke durchbohrten ihn. »Davon verstehst du nichts, mein Lieber – noch nicht!«
Skeptisch sah Julian die schmalen ausgetretenen Stufen an, die nach unten in die Tiefe führten. Sie waren grob in den Fels gehauen, kaum als Stufen zu bezeichnen. Die Sonne stand so tief am Himmel, dass sie ihn blendete.
Taron trat von hinten an ihn heran. »Die Stufen führen etwa bis zur Hälfte, aber bei den unteren musst du aufpassen. Sie sind schon ziemlich bröckelig.«
»Ich finde diese hier schon wenig vertrauenerweckend.«
Taron grinste. »Ich hatte von dir wesentlich mehr Abenteuerlust erwartet. Komm’, die Sonne ist so schön, der Tag ist ideal, um nach unten zu klettern.«
Er schob sich an Julian vorbei und sah ebenfalls in die Tiefe. Aber im Gegensatz zu Julian war er völlig entspannt und genoss den Ausblick.
»Auf der Hälfte befindet sich ein kleiner Absatz. Dort können wir uns einen Moment erholen.«
»Wäre mir lieber, wenn wir wenigstens ein Geländer hätten ...«
Taron klopfte ihm auf die Schulter. »Ich klettere vor dir her, und wenn du abrutschst, fange ich dich auf.«
Julian lachte. »Wie beruhigend.«
Vorsichtig begannen sie mit dem Abstieg. Tarons Sicherheit zeigte Julian, dass er den Weg schon einige Male hinuntergeklettert war. Er war froh, dass er zumindest eine passende Outdoorhose und Schuhe mit griffigen Sohlen angezogen hatte.
Die Sonne wärmte ihn angenehm, auch die Steine waren warm unter seinen Händen, doch er wäre genauso froh gewesen, wenn er etwas mehr hätte sehen können. Das Rauschen des Meers wurde stärker.
»Vorsicht, hier gibt’s eine lockere Stelle!« rief Taron nach oben.
Geröll löste sich unter Julians Schuhen. Er fluchte leise.
Als sie am Absatz ankamen, war er bereits nass geschwitzt.
»Alles in Ordnung?«
Schnaufend setzte Julian sich auf den erwärmten, felsigen Untergrund. »Ich liebe halsbrecherische Kletteraktionen!«
Taron grinste, seine weißen Zähne blitzten im Sonnenlicht. »Es ist wirklich schön, dass ich endlich jemanden gefunden habe, der so gern mit mir zusammen klettert ... Der zweite Teil wird ein wenig schwieriger, aber ich denke, du schaffst das.«
»Ich würd’ das letzte Stück ja lieber auf dem Arsch runterrutschen«, sagte Julian mürrisch.
Taron sah ihn scharf an, dann grinste er. »Ich glaub’ dir kein Wort. – So, wie dein Arsch aussieht.«
Julian wurde rot, was den anderen zum Lachen brachte. »Es ist sehr süß, dass du immer so rot wirst!«
»Ist doch echt peinlich so was«, brummte Julian.
Taron kniff ihm in die Wange und schwieg. Vorsichtig balancierte er über den schmalen Rand des Felsvorsprungs und sah hinunter. »Das Meer ruft – hörst du es?«
»Es will meine Leiche«, knurrte Julian sarkastisch, aber er folgte Taron.
Der letzte Teil des Abstiegs war schwieriger und wesentlich gefährlicher. Julian rutschte einige Male ab, riss sich die Handflächen an den scharfkantigen Steinen auf und verfluchte sich insgeheim dafür, dass er Taron so gutgläubig gefolgt war. Aber andererseits hätte er allein im Schloss auch keine ruhige Minute gehabt, mit Jerome auf den Fersen.
Als sie endlich unten angekommen waren,
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