Blutige Verfuehrung 2
oben bis unten musterten.
"Orlando", entfuhr es mir.
"Du hast mich sehr erschreckt!"
"Ich weiß", sagte er,
"aber wer so neugierig ist wie du, wird vor Überraschungen nicht sicher sein." Mit diesen Worten nahm er meine rechte Hand und hauchte einen Kuss darauf.
"Geliebte Schwester Lucia", sagte er,
"nachdem du schon mal hier bist, darf ich dir vielleicht unsere derzeitige Unterkunft zeigen." Er trug eine Fackel in der Hand, die er, um mich besser zu sehen, direkt über meinen Kopf hielt. Sein missbilligender Blick fiel auf meine verschmutzte Kleidung, die noch immer an mir klebte, wie eine zweite Haut. Ich murmelte eine Entschuldigung, dass ich so verdreckt war, doch Orlando ignorierte mein Gemurmel, er nahm mich bei der Hand und führte mich über eine Treppe in einen weiteren Gang.
Ich wagte nicht zu fragen, ob der ausgeschmückte Sarg wirklich für mich gedacht war, denn ich befürchtete, dass es genau so war. Aber ich war doch lebendig! Ich konnte mich nicht in einen Sarg legen. Ich fühlte Panik in mir aufsteigen. Orlandos kalte Hand hielt mich fest. Wir waren durch eine weitere Tür gegangen und ein großer Raum öffnete sich vor uns. Überall standen große Kerzenständer, die den Raum in sanftes flackerndes Licht tauchten. Er sagte, ohne mich anzublicken:
"Dies ist unser Refektorium. Hier finden alle wichtigen Besprechungen statt. Und, nachdem du schon mal hier bist, brauchen wir ja nicht länger auf dich zu warten. Die anderen werden am späten Nachmittag aufstehen, dann wird sich alles Weitere fügen."
Warum sprach er nur so gestelzt? Und was sollte sich fügen? Er ging noch ein paar Schritte weiter mit mir, dann ließ er meine Hand los und legte beide Hände um meine Taille. Ich hielt die Luft an. Sein Mund war direkt an meinem Haaransatz. Ich fühlte die Kälte, die sein Körper ausströmte. Würde er mich jetzt mit seinen langen Zähnen beißen? Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis er sagte:
"Warum haben sie nur so lange gewartet, bis sie dich gerufen haben? Der Dämon hat dein Blut vergiftet, das hätte man verhindern können. Jetzt steht dir eine etwas unangenehme Prozedur bevor, doch danach wirst du schöner erstrahlen als je zuvor." Der Dämon! Damit meinte er Ikarus. Ich befreite mich aus seiner kalten Umarmung und trat einen Schritt zurück:
"Wo ist Ikarus?", sagte ich und blickte ihn herausfordernd an.
"Ich will sofort zu ihm!" Sein wunderschöner Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln.
"Ich bin nicht befugt, dich zu ihm zu führen. Du musst die Entscheidung des Clans abwarten."
Das sogenannte 'Refektorium' war ein wunderbarer Raum, der einem Schloss würdig war. Ein großer runder Tisch mit einer grünen Marmorplatte war umringt von vergoldeten Stühlen, die alle unterschiedlich waren. Zwei große Kronleuchter hingen über dem Tisch von der Decke und an den Wänden standen vergoldete Konsolen und Glasvitrinen mit allerlei Gläsern, Krügen, Tellern und weiterem Zierrat. Die Beleuchtung durch die vielen Kerzen an den Wänden gab dem Raum ein gespenstisch flackerndes Licht, das sich in den Glas- und Goldflächen vielfach brach. In Orlandos Augen spiegelte sich ein Kronleuchter. Er blickte mich ununterbrochen an und ich hatte das Gefühl, dass er durch meine Kleidung hindurch sehen konnte und ihm gefiel, was er sah. Meine schmutzverkrusteten Füße steckten in noch schmutzigeren Schuhen und ich sagte:
"Bevor die anderen kommen, würde ich mich gerne etwas säubern." Seine Gegenwart machte mich noch unsicherer, als ich sowieso schon war. Wer geht schon freiwillig in die Gruft zu Vampiren? Ich musste wirklich übergeschnappt sein. Wenn ich nicht selbst schon den Geschmack von Blut zu schätzen gelernt hätte, wäre mein Benehmen noch unverständlicher. Doch jetzt wollte ich endgültig zu meiner Neigung stehen, wenn das was ich hier sah, mir auch sehr sehr fremd war.
Orlando führte mich in ein Badezimmer, das ich in dieser Gruft nicht erwartet hatte. Die Wände waren mit schwarzen Fliesen versehen, die am oberen Rand Blumenranken in leuchtenden Farben hatte. Die Wasserhähne waren vergoldet. Ich wusch mir mein Gesicht, meine Arme und Beine gründlich ab und versuchte auch meine T-Shirt und den kurzen Rock, den es am schlimmsten erwischt hatte, etwas zu säubern. Meine Haare waren vom Regen ein undurchdringlicher Filz und ich versuchte nur, die Locken etwas auseinander zu zupfen. Ich betrachtete mich danach in einem großen Spiegel und war mit dem Ergebnis einigermaßen
Weitere Kostenlose Bücher