Blutiger Engel: Thriller (Ein Alice-Quentin-Thriller) (German Edition)
danach, dass endlich irgendwas passierte, was ihm etwas Abwechslung von seinem langweiligen Alltag verschaffte. Ich sah den beiden hinterher, wie sie zur U-Bahn liefen und einander ignorierten wie ein Paar nach einem Riesenstreit.
Ich selbst schlenderte auf dem Heimweg noch gemütlich durch Soho, was schon immer eine meiner Lieblingsgegenden gewesen war. Eingezwängt zwischen exklusiven Einkaufsstraßen, aber fest entschlossen, seinen wilden Ruf zu wahren. Alte Männer lungerten neben den Eingängen von Striplokalen, und hinter den Rauchglasscheiben in Höhe der Straßen waren Massagesalons, Buchgeschäfte für Erwachsene und winzig kleine, aber gutgehende China-Restaurants versteckt. Ich wusste nicht, wann ich zum letzten Mal etwas Vernünftiges gegessen hatte, aber nicht einmal der Duft der Peking-Ente lockte mich. Denn ich hätte es beim besten Willen nicht ertragen, irgendwelchen Paaren bei einem romantischen Abendessen zuzusehen.
Als ich gegen neun ein Taxi nahm, klingelte mein Handy. Doch in diesem Augenblick war mir einfach egal, wie perfekt der Urlaub meiner Mutter war oder wie dringend Burns mich sprechen musste, und statt an den Apparat zu gehen, lehnte ich mich bequem auf meinem Sitz zurück.
Mein Gleichmut hielt an, bis ich nach Hause kam. Müde schleppte ich mich durch das Treppenhaus, öffnete die Wohnungstür und atmete erleichtert auf. Bis ich ein Geräusch aus dem Wohnzimmer vernahm.
Ich stand wie angewurzelt da, obwohl ich wusste, dass ich umgehend hätte die Flucht ergreifen sollen. Denn vor mir war schon jemand anderes hereingekommen und lauerte ein paar Meter entfernt hinter der Tür.
40
»Was zum Teufel machst du da?« Lola stolperte in den Flur und rieb sich die Augen.
Ich umklammerte die Flasche Wein, die ich dem Eindringling über den Schädel schlagen wollte. »Ich dachte, du wärst ein Einbrecher. Warum hast du kein Licht gemacht?«
»Weil ich auf dem Sofa eingeschlafen bin. Du bist nicht ans Telefon gegangen, deshalb habe ich mir Sorgen um dich gemacht.«
Ich brachte es nicht über mich, ihr zu erklären, dass mir Mitgefühl nicht weiterhalf. Denn wenn jemand versuchte, für mich da zu sein, wäre es vollends um mich geschehen.
Also ging ich in die Küche, um uns einen Tee zu kochen, aber meine Hände zitterten so sehr, dass ich die Milch statt in die Becher auf die Arbeitsplatte goss.
»Dein Freund war vorhin hier«, erzählte Lola mir. »Aber er konnte nicht lang bleiben. Er meinte, er käme einfach später noch mal vorbei.«
»Was für ein Freund?«
»Darren.« Sie rührte sich einen Löffel Zucker in den Tee. »Es schien um irgendetwas Wichtiges zu gehen. Vielleicht solltest du ihn kurz anrufen.«
Ich packte ihren Arm. »Hör zu, Lo. Darren ist der Typ, der mich verfolgt. Er ist gefährlich. Sprich bloß nicht noch mal mit ihm.«
»Er ist ein Stalker?«, fragte Lola überrascht. Sie hatte schon immer seltsame Vorstellungen von der Natur des Menschen gehabt, und selbst jemand, der in der Todeszelle saß, könnte sie im Handumdrehen davon überzeugen, dass er der reinste Engel war.
Noch immer sah sie mich durchdringend an. »Hör zu, Al, ich bleibe erst mal hier. Du solltest nicht alleine sein.«
»Und was ist mit Neal?«
»Der kommt auch gut alleine klar.« Während eines kurzen Augenblicks blitzte ihr katzenhaftes Grinsen auf. »Vor allem merkt er dann, dass er mich nicht einfach als selbstverständlich nehmen kann.«
Ich umarmte sie und machte mich dann auf die Jagd nach einem sauberen Laken für Wills Bett. Das Lämpchen meines Anrufbeantworters blinkte so hektisch, dass ich mich zwang, den Knopf zu drücken und mir anzuhören, was für Anrufe eingegangen waren.
Die erste Nachricht war von Taylor, der mich wissen lassen wollte, dass er Brotherton von meinem angeblichen professionellen Fehlverhalten unterrichtet hatte. Dabei legte er zwischen den Sätzen so dramatische Pausen ein, als zöge er an einer kubanischen Zigarre, während er sprach. Als krönenden Abschluss seiner Nachricht fügte er hinzu, ich dürfte ab jetzt täglich mit meiner Entlassung rechnen.
Der nächste Anrufer blieb stumm. Er atmete ein paar Sekunden in den Hörer und legte dann schweigend wieder auf.
Als Letzter hatte Burns mich kontaktiert, wobei sein Akzent so dick wie der schottische Nebel gewesen war.
Stirnrunzelnd löschte ich die Nachrichten und ging ins Bett.
Am nächsten Vormittag erwartete mich Burns in Browns’ Café. Er war ungewöhnlich blass und starrte auf seinen
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