Blutiger Engel: Thriller (Ein Alice-Quentin-Thriller) (German Edition)
heruntersah.
»Die Polizei hat uns von der Sache mit Andy Piernan erzählt«, fing Sophie mit rauer Stimme an. »Ich kannte ihn nicht wirklich gut, aber ich habe ihn bewundert. Weil er ein Mensch mit einem Gewissen war.«
Ich überlegte, ob ich ihr erzählen sollte, dass wir zwei ein Paar gewesen waren, doch ich wollte das Gespräch nicht an mich reißen, denn anscheinend brauchte sie die Unterhaltung dringender als ich. Sie wirkte zerbrechlicher als auf dem Fest, und ihre wächserne Haut verriet, dass sie schlecht schlief.
»Wie geht es Ihnen?«, fragte ich.
»Nicht gut.« Sie bemühte sich zu lächeln. »Ich schnauze nur noch rum, und wenn irgendwo eine Tür knallt, kriege ich vor lauter Schreck fast einen Herzinfarkt.«
»Die Polizei kommt bei ihren Ermittlungen inzwischen gut voran«, versuchte ich sie aufzubauen.
Tatsächlich hellte ihr Gesicht sich auf. »Ach ja? Haben sie schon jemanden verhaftet?«
»Nein. Aber sie haben ein paar heiße Spuren.«
»Allerdings nicht heiß genug, um Nicole noch zu helfen. Ich habe gehört, was Liam getan hat. Dabei hat es immer so gewirkt, als wäre er total verrückt nach ihr.« Sie runzelte die Stirn und sah mit einem Mal erheblich älter aus.
»Und wie geht es Ihrem Mann?«
»Er benimmt sich so wie immer. Falls er Angst hat, bin ich wahrscheinlich die Letzte, die es erfährt. Als er mir erzählt hat, dass die Bank geschlossen worden ist, dachte ich, er verbrächte endlich mal ein bisschen Zeit zu Hause, aber stattdessen hängt er pausenlos mit seinen Anwälten herum. Weil sie Beschwerde gegen die Schließung einlegen wollen.«
»Spricht Max denn nie über seine Gefühle?«
»Nicht, wenn er es irgendwie vermeiden kann. Ehrlich gesagt, war alles, was ich wollte, etwas Zeit mit ihm. Aber er lebt in einer Traumwelt – und darin kommt Molly gar nicht vor. Er würdigt sie einfach keines Blickes, und manchmal würde ich deshalb am liebsten mit den Fäusten auf ihn losgehen.« Sie stieß ein kurzes Lachen aus und schlug sich eilig die Hand vor den Mund. »Tut mir leid. Anscheinend drehe ich allmählich völlig durch.«
»Ich würde mir mehr Sorgen um Sie machen, wenn Sie völlig ruhig wären. Aber zumindest können Sie mit Ihrer Mutter reden, wenn Ihnen die Sache über den Kopf zu wachsen droht.«
»Sie ist wirklich eine tolle Frau.«
»Wie kommt sie mit Max zurecht?«
»Mum sagt, ich sollte ihn verlassen.« Sophie atmete vernehmlich ein. »Sie denkt, ich hätte etwas Besseres verdient. Womit sie natürlich unrecht hat. Er ist nicht immer so. Nur, wenn er unter großem Druck steht.« Sophie sah mich ängstlich an. »Und wie steht es mit Ihnen? Sie leben doch bestimmt mit jemandem zusammen, oder nicht?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe mit meiner Arbeit mehr als genug zu tun.«
»Dann bleibt Ihnen also keine Zeit, um sich zu entspannen.« Sie bedachte mich mit einem mitfühlenden Blick. »Genauso geht’s mir auch. Ich gehe nicht einmal mehr schwimmen. Die Freundinnen von der Bank, mit denen ich bisher immer im Schwimmbad war – die Polizei hat uns allen geraten, erst mal nicht mehr aus dem Haus zu gehen.«
Wir unterhielten uns noch eine gute Stunde weiter, doch egal, worum es ging, kam sie ein ums andere Mal auf ihren Mann zurück. Sie erzählte mir, wie alles angefangen hatte. In den ersten Wochen hatte sie sein Werben aus Angst vor dem Altersunterschied so gut wie möglich ignoriert, doch er hatte sie mit Anrufen und Briefen bombardiert, bis sie am Ende schwach geworden war. Auch die Konflikte zwischen ihnen deutete sie an, brach dann aber verlegen ab. Am liebsten hätte ich ihr erzählt, wie er weibliche Angestellte rekrutierte, doch es gelang mir, meinen Mund zu halten. Trotzdem stellte sie, als wir zur Tür gingen, mit dumpfer Stimme fest: »Manchmal wünschte ich, ich würde nicht so an ihm hängen, falls das irgendeinen Sinn ergibt.«
»Natürlich tut es das. Weil man sich, wenn man zu sehr an einem Menschen hängt, verletzlich fühlt.«
»Ich habe Angst um Molly, nicht um mich.« Sie sah mich aus furchtsam aufgerissenen Augen an.
»Ihnen beiden wird ganz sicher nichts passieren. Schließlich haben Sie ja Ihren Labrador.« Ich nickte in Richtung des Bodyguards, der noch immer vor der Tür der Kneipe stand. »Rufen Sie mich einfach an, wenn Sie noch mal jemanden zum Reden brauchen, ja?«
Sie umarmte mich spontan, als wir nach draußen kamen, und ihr Leibwächter riss seinen Mund zu einem breiten Gähnen auf. Der Ärmste sehnte sich bestimmt
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