Blutiger Engel: Thriller (Ein Alice-Quentin-Thriller) (German Edition)
entsorgen. Weil es mich im Grunde nur belastet.« Als ich immer noch nicht protestierte, fuhr er fort: »Im Wagen von meinem Freund ist sowieso kein Platz dafür, wenn wir nach Brighton fahren.«
»Wo wohnt denn dieser Freund?« Ich packte die nächsten Bücher ein, ordnete sie aber sorgfältig Rücken an Rücken in der Kiste an.
»In der Whitecross Street«, erklärte Will. »Dort wartet er auf mich.«
Er machte auf dem Absatz kehrt und verschwand durch meine Wohnungstür. Ich stand dort und starrte auf den Reiseführer Mexico, den ich noch in den Händen hielt. Um die Whitecross Street machte ich einen großen Bogen, wenn es dunkel war. Alle Häuser dort waren im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus entstanden, und die Fenster der im Erdgeschoss liegenden Wohnungen waren durch Metallgitter geschützt. Denn die Mieter hatten von den Backsteinen, die ihnen regelmäßig in die Wohnzimmer geflogen waren, irgendwann die Nase voll gehabt.
Am liebsten hätte ich mich mitten in Wills Müll gesetzt und laut geschrien, entschied mich dann aber für eine Eigentherapie mit Hilfe von Musik. Denn wenn einem Bill Withers »Lovely Day« entgegenschmetterte, war es einfach schwierig, unglücklich zu sein.
Ebenfalls im Rahmen meiner Eigentherapie fing ich mit Saubermachen an und schrubbte meine Spüle, bis sie nicht mehr wiederzuerkennen war. Irgendwann sah die ganze Küche aus wie neu, und ich merkte, dass ich völlig ausgehungert war. Also briet ich mir drei Eier, packte sie zwischen zwei dicke Scheiben mit Ketchup getränkten Weißbrots und verschlang das Monster-Sandwich noch im Stehen.
All das Cholesterin und Fett verliehen mir einen neuen Energieschub, und auch meine Stimmung hellte sich allmählich wieder auf. Ehe ich es mir noch einmal anders überlegen konnte, schrieb ich Piernan eine SMS , fragte ihn, ob er am nächsten Abend schon was vorhätte, und prompt antwortete er. Er lud mich zu einer privaten Vernissage ein, und lächelnd schminkte ich mir meine Lippen, wuchtete mein Rad durchs Treppenhaus und fuhr eigenartig selbstzufrieden los.
Die anhaltende Hitze und die Abgase machten das Atmen schwer, doch ich fuhr gutgelaunt die Tooley Street hinunter bis zum Biergarten des Market Porter, in dem bereits meine Freundin Lola saß. Sie hatte sich ein Pimm’s bestellt und unterhielt sich fröhlich mit ihrem Kumpel Craig. Er klapperte mit seinen gekonnt getuschten Wimpern, als er mich entdeckte, und ich sah den dunklen Ansatz seines langen blonden Haars. Lola und er gingen zusammen auf die Schauspielschule, teilten eine Wohnung und standen gemeinsam all die Missgeschicke, die ihnen passierten, durch. Er verdiente seinen Lebensunterhalt beim Kabarett, und seine Beziehung zu Lola ähnelte einem chemischen Experiment. Sie brannten entweder vor Liebe zueinander oder drohten vor Verzweiflung aneinander zu vergehen. Am Ende des Gartens baute die griechische Statue Mikrophonständer auf einer kleinen Bühne auf.
»Neal spielt in einer Band? Wie heißt sie denn?«, erkundigte ich mich.
»Das Jack Pescod Trio.« Lola strahlte wie ein Honigkuchenpferd. »Sie sind einfach genial.«
Damit hatte sie tatsächlich recht. Ich war eigentlich allergisch gegen Jazz, aber diese Typen waren einfach toll. Die Trompetenmelodie schwebte vollkommen schwerelos über den Klängen des Klaviers und wogte wie eine Meeresbrandung über mich hinweg.
Lola sah erwartungsvoll in meine Richtung, und ich wusste, dass sie vorhatte, mich wieder mal ins Kreuzverhör zu nehmen, deshalb kam ich ihr zuvor.
»Und, was macht dein Traumjunge?«, erkundigte ich mich.
»Es ist einfach unglaublich. Er hat mir erklärt, dass ich seine Seelenverwandte bin.«
»Was hinaufgeht, kommt auch wieder runter«, knurrte Craig.
»Zynismus steht dir nicht, Schätzchen«, tadelte Lola ihn. »Du solltest der Versuchung also widerstehen.«
»Wir anderen nennen so was Realismus, Süße.« Er lenkte den Blick seiner kornblumenblauen Augen auf mich. »Du würdest nicht auf einen Teenie abfahren, oder?«
»Nein, wahrscheinlich nicht.« Ich überlegte kurz. »Aber nur, weil ich dann das Gefühl hätte, uralt zu sein.«
Lola riss ihre grünen Augen auf. »Was ist mit dir und Andrew? Ich finde ihn einfach wunderbar! Er hat diesen vornehmen Charme, wie Hugh Grant in Notting Hill.«
»Mach dir lieber keine allzu großen Hoffnungen«, bat ich. »Meine letzte Katastrophe ist einfach noch nicht lange genug her.«
»Aber du wirst ihn doch wohl wiedersehen?«, hakte sie nach.
»Morgen
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