Blutiger Engel: Thriller (Ein Alice-Quentin-Thriller) (German Edition)
hervorzuzerren, und am besten wartete man, bis sie von alleine wieder an die Oberfläche stieg.
Inzwischen hatte man Nicole in das private Cromwell Hospital verlegt, doch auch hier drängten sich Journalisten vor der Eingangstür. Ich hielt den Kopf gesenkt, aber der elende Dean Simons hatte mich bereits entdeckt.
»Ich habe eine Story ganz speziell für Sie geschrieben, Alice«, brüllte er. »Grüßen Sie Nicole.« Sein Gesicht war rot von zu viel Sonne oder Alkohol, und seine Kleider waren so zerknittert, dass ich annahm, dass der Kerl in seinem Wagen schlief.
Taylor sah mich angewidert von der Seite an. »Einer Ihrer Kumpel, die über den Crossbones-Fall geschrieben haben?«
Ohne darauf einzugehen, marschierte ich entschlossen durch die Tür. Nicole Morgan hatte eins der exklusivsten Krankenhäuser Londons für die Wiederherstellung ihres Gesichts gewählt. Das Cromwell war eher ein Hotel der Luxusklasse als ein Hospital. Die Patienten konnten dort ins Kino, zur Kosmetikerin, zum Frisör oder ins hauseigene Schwimmbad gehen.
Als wir Morgans Suite erreichten, standen zwei Beamte Wache vor der Tür. Sie nickten Taylor sofort durch, mich aber ließen sie ewig warten, bis das Studium meines Passes endlich abgeschlossen war. Vielleicht hatte man die Männer angewiesen, sich nach einer kleinen blonden Mörderin, die sich als Psychologin tarnte, umzusehen.
Morgan hatte sich bereits erstaunlich gut von dem Überfall erholt. Sie saß in einem Sessel und erteilte irgendwelchen Leuten Anweisungen über ihren Blackberry. Von ihrem Gesicht war hinter den Verbänden kaum etwas zu sehen, doch ihr dunkles Haar war sorgfältig frisiert, und ihre Nägel waren frisch lackiert.
Ausnahmsweise hielt Steve Taylor sich diskret im Hintergrund, denn diese Arbeit überließ er offensichtlich gerne mir.
Ein Kameramann baute in der Ecke seine Geräte auf, und ich fragte verblüfft: »Werden Sie etwa gefilmt?«
»Channel 5 macht eine Serie über meine Genesung. Sie waren sogar im OP , obwohl das natürlich etwas eklig war.«
Ich starrte sie mit großen Augen an. Schon immer hatte diese Art der Unbezwingbarkeit mich fasziniert – ich fand es ungemein beeindruckend, dass es anscheinend Menschen gab, die sich weigerten, egal nach welchem Schicksalsschlag in die Knie zu gehen. Doch zugleich erkannte ich, weshalb mich Morgan sprechen wollte. Ein Gespräch mit einer Psychologin, während sie sich heldenhaft bemühte, sich an jede Einzelheit des Angriffs zu erinnern, machte sich im Fernsehen natürlich gut. Vielleicht würde sie dadurch ja sogar zu einem nationalen Heiligtum.
Ich bemerkte, dass sie immer noch mit leiser, rauer Stimme sprach, weil die Quetschung ihres Kehlkopfs noch nicht ganz zurückgegangen war.
»Ich fürchte, die Kamera muss weg.«
»Warum denn das?«, erkundigte sich Morgan mit empörter Stimme. »Dieses Gespräch dürfen die Zuschauer auf keinen Fall verpassen. Es ist schließlich Teil meiner Geschichte.«
»Sie müssen völlig ungestört sein, wenn Sie sich an Ihren Angreifer erinnern wollen.«
»Natürlich will ich das.« Das eine Auge, das von ihr zu sehen war, funkelte mich zornig an.
Auch der Kameramann gab so leicht nicht auf. Erst nach zähem Ringen ließ er uns allein, doch kaum war er gegangen, legte Morgan ein vollkommen anderes Verhalten an den Tag. Ihr Strahlen ging zurück, als hätte man ein Blitzlicht gegen eine Energiesparbirne eingetauscht. Doch zumindest war sie immer noch bereit zu reden. Und deswegen war ich schließlich da.
»Der Angel Killer ist auf jeden Fall ein Insider«, erklärte sie.
»Glauben Sie?«
»Auf jeden Fall.« Ihre Halsverbände rutschten, als sie nickte, doch sie ließ sie, wo sie waren. »Jobs in der Finanzbranche sind heiß begehrt. Da draußen laufen Dutzende von Menschen rum, die irgendeinen Groll gegen die Banken hegen, und ich gehe jede Wette ein, dass Leo, um an seinen Posten zu gelangen, ein paar Leuten kräftig auf die Zehen getreten hat.«
Ich hatte den Eindruck, dass ihr Selbsterhaltungstrieb der Grund für ihren Wunsch war, sich zu erinnern. Doch das konnte ich ihr nicht verdenken. Denn sie hatte sicher die Befürchtung, dass der Angreifer noch einmal kommen könnte, weil sie schließlich noch am Leben war. Erst nach einer Viertelstunde wirkte sie entspannt genug für eine Intensivierung des Gesprächs.
»Was ist das Letzte, woran Sie sich vor dem Überfall erinnern?«, fragte ich.
»Dass ich mit Liam telefoniert habe. Er hat zu mir gesagt, dass ich nicht
Weitere Kostenlose Bücher