Blutiger Engel: Thriller (Ein Alice-Quentin-Thriller) (German Edition)
sieht?«
»Er hasst nicht das Geld, sondern die Menschen. Wenn er das Finanzsystem zerstören wollte, würde er die City bombardieren.«
»Und Kingsmith steht ganz oben auf seiner Liste.«
Burns schien das plötzliche laute Pfeifen durch die Gitterfenster gar nicht zu hören. Er war so abgelenkt, dass er von unserer Umgebung nichts mehr mitbekam. Schließlich aber stopfte er den Zettel wieder in die Jackentasche und stand ächzend auf.
20
Am nächsten Morgen fand ich eine Notiz von Will auf meinem Küchentisch. Er erklärte mir darauf, dass er nach Brighton aufgebrochen wäre, und hatte den Schlüssel meiner Wohnung achtlos neben den Fetzen Papier gelegt.
Aus irgendeinem Grund brachte mich die kurze Botschaft völlig aus dem Gleichgewicht. Vielleicht weil er mir nicht mal mehr auf Wiedersehen gesagt hatte oder weil ich kurzfristig Erleichterung empfand. Ich hatte mich so lange für seine Probleme zuständig gefühlt, dass ich mich wahrscheinlich erst daran gewöhnen müsste, endlich wieder einmal frei von Sorgen um sein Wohlergehen zu sein.
Als ich jedoch ins Badezimmer ging, um mich für die Arbeit anzuziehen, sah ich dort seine Medikamente stehen. Chlorpromazin und Lithium lagen ordentlich im obersten Regal des Spiegelschranks. Er hatte also keine Mittel dabei, die er brauchte, um funktionstüchtig zu sein. Mein erster Gedanke war, ihm hinterherzufahren, doch ein anderer Teil von mir verspürte abermals Erleichterung, weil ich der Verantwortung für Will enthoben war.
Gerade als ich gehen wollte, klingelte mein Telefon, und Piernans Stimme klang so gutgelaunt wie eh und je.
»Tut mir leid, dass ich nicht zu erreichen war. Ich hatte drei Events in Folge, was ein logistischer Alptraum war.«
»Es geht um dein Geschenk. Tut mir leid, Andrew, aber ich kann es nicht annehmen.«
Er stieß ein leises Lachen aus. »Warum nicht? Passt es nicht zu deiner Wohnzimmertapete?«
»Es ist viel zu wertvoll. Warum bietest du es nicht für einen deiner wohltätigen Zwecke zum Verkauf?«
Erst hörte ich schockiertes Schweigen, schließlich aber sagte er: »Weil es mich nichts gekostet hat, Alice. Ich habe Giles erzählt, dass dir das Bild gefällt, und da hat er es mir geschenkt. Er kriegt immer einen Anteil am Erlös, wenn wir in seiner Galerie Auktionen abhalten, weshalb ich einer seiner besten Kunden bin.«
Darauf fiel mir keine Antwort ein. Immer noch empfand ich das Geschenk als kompliziert, auch wenn dafür kein Geld geflossen war. Mir ging der Gedanke durch den Kopf, dass ein normaler Mensch wahrscheinlich einfach danke sagen und Piernans Behauptung akzeptieren würde, dass keine Bedingung mit der Annahme dieses Geschenks verbunden war.
»Hör zu, Alice, wir treffen uns doch heute Abend. Lass uns dann weiter darüber reden, ja?«
Ich verdrängte den Gedanken an den Schmetterling, als ich Kensington erreichte und Steve Taylor mit noch braunerem Gesicht als am Vortag am Ende der Marloes Road stehen sah. Er schien noch begeisterter von sich zu sein als sonst.
»Die Chefin hat Burns einbestellt, weil sie ihm wieder einmal die Leviten lesen will«, klärte er mich grinsend auf. »Unter uns gesagt, die Tage dieses Typen sind gezählt.«
»Das ist Ihre ganz private Meinung, oder?«
»Er hat es einfach nicht drauf, und Brotherton braucht jemand Kompetenten für die Klärung eines solchen Falls. Ich meine, die Ermittlungen im Crossbones-Fall waren ja wohl eine Katastrophe, oder etwa nicht?«
Ich hielt den Atem an und zählte stumm bis zehn. Taylor hatte seine Hausaufgaben eindeutig gemacht und rannte offenbar im Zehn-Minuten-Takt in Brothertons Büro, um sie mit Falschinformationen zu versorgen und so gut wie möglich vor ihr dazustehen.
Auf dem Weg zum Krankenhaus erklärte er mir weiter, weshalb niemand anderes als er selbst als Leiter des Ermittlungsteams in Frage kam. Höchste Zeit, dass Brotherton den Tatsachen ins Auge sah.
Ich blendete die widerliche Stimme einfach aus und wappnete mich für den Anblick von Nicole. Sie hatte ein Gespräch mit mir erbeten, weil sie hoffte, sich an weitere Details des Überfalles zu erinnern und uns dadurch bei der Suche nach dem Angreifer zu helfen – doch ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie dazu jetzt schon in der Lage war. Der Überfall war einfach noch nicht lange genug her, und manchmal war es gut, wenn das Gedächtnis eines Menschen die Erinnerung an ein traumatisches Erlebnis erst einmal begrub. Denn es konnte gefährlich sein, sie allzu schnell wieder
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