Blutiger Engel: Thriller (Ein Alice-Quentin-Thriller) (German Edition)
allein zu meinem Wagen gehen soll. Ich hatte ihn ein Stück entfernt in der Staining Lane geparkt, und es war immerhin schon elf.«
»Und was haben Sie gesagt?«
»Dass er sich zusammenreißen soll.« Morgan schien sich über die Besorgnis ihres Mannes immer noch zu ärgern, obwohl sie tatsächlich überfallen worden war. »Lassen Sie uns weitermachen, ja?«
Ich nickte zustimmend. »Sie können jederzeit aufhören, aber ich möchte, dass Sie versuchen, mir zu sagen, ob Sie auf dem Weg zu Ihrem Wagen irgendwas gesehen, gerochen oder gehört haben.«
Morgan lehnte sich entspannt zurück und klappte ihre Augen zu, als wolle sie sich selbst hypnotisieren. Aber dadurch wurde meine Sorge noch verstärkt. Denn kaum jemand war stark genug, um einen so brutalen Überfall bereits nach kurzer Zeit noch einmal zu durchleben, ohne dass er endgültig zusammenbrach.
»Ein paar Freunde stiegen in ein Taxi, und dann rief mich Liam auf dem Handy an. Ich dachte nicht, dass es gefährlich wäre – schließlich war die Straße hell erleuchtet, und es war kein Mensch zu sehen. Ich hatte meine Jacke in der Hand, denn es war noch immer furchtbar warm. Dann habe ich in meiner Handtasche nach meinem Schlüsselbund gesucht.« Ihre Stimme brach.
»Bemühen Sie sich nicht zu sehr, Nicole«, bat ich. »Hören Sie einfach auf, wenn Ihnen das lieber ist.«
»Er hat mich von hinten gepackt, und im selben Augenblick sah ich das Messer. Ich habe versucht zu schreien, aber keinen Ton herausgebracht. Dann hat er mich zwischen zwei Häuser gezerrt.« Sie ballte ohnmächtig die Fäuste und schüttelte unglücklich den Kopf. »Mehr weiß ich nicht.«
»Hat er irgendwas gesagt? Manchmal erinnern Menschen sich an ein paar Worte oder den Akzent, in dem der Angreifer gesprochen hatte.«
Morgan richtete sich kerzengerade auf und atmete panisch aus und ein. Sie sah derart erschrocken aus, als wäre ihr der schlimmste Teil des Überfalls urplötzlich wieder eingefallen.
»Es ist alles gut«, sagte ich ruhig. »Am besten warten wir, bis Sie dazu bereit sind, sich dieser Erinnerung zu stellen. Wenn Sie dann darüber sprechen, ist das früh genug.«
Gerade als wir gehen wollten, erschien Morgans Mann mit einem riesigen Geschenk. Er hatte das übertrieben breite Lächeln im Gesicht, das die Menschen immer aufsetzten, wenn etwas Schreckliches geschehen war. Halb aus Schock und halb in dem Bedürfnis, alle Welt davon zu überzeugen, dass man der Krise gewachsen war.
»Der ist von Max und Sophie«, verkündete er übertrieben gutgelaunt und stellte seiner Frau den Fresskorb ihres Bosses in den Schoß.
Dadurch wurde unsere Unterhaltung endgültig beendet, aber ich war froh, dass sie sich so weit beruhigt hatte, um vor Begeisterung zu juchzen, als sie all die teure Schokolade und die anderen Köstlichkeiten entdeckte.
Auch der Kameramann war inzwischen in die Suite zurückgekehrt und nahm seine Arbeit wieder auf.
Liam Morgan brachte uns hinaus, und unweigerlich ging mir die Frage durch den Kopf, weshalb Nicoles Wahl gerade auf ihn gefallen war. Er hatte die gedrungene Statur eines Gewichthebers, und oberhalb von seinen Schlüsselbeinen drückten dicke Venen durch die Haut. Vielleicht sah sie ihn ja als Beschützer und loyalen, treuergebenen Diener, doch für mich hätte so etwas niemals funktioniert. Denn abgesehen von seinem kurzgeschnittenen blonden Haar, sah er praktisch wie das Ebenbild des Schlägertypen aus, von dem Poppy Beckwith sich bewachen ließ.
Während Taylor schon den Korridor hinunterstapfte, sah ich Liam fragend an.
»Wie kommen Sie mit alledem zurecht?«
Er straffte seine Schultern und erklärte mir mit einem harten, nördlichen Akzent: »Alles kein Problem für mich.«
»Ach tatsächlich?« Es war schwer zu sagen, ob das wirklich ernst gemeint war, aber die Alarmglocken in meinem Kopf läuteten bei dieser Antwort Sturm.
»Nach zwölf Jahren bei der Army ist man noch viel Schlimmeres gewohnt.«
»Aber es ist etwas anderes, wenn es einen Menschen trifft, der einem nahesteht, nicht wahr?«
»Nicole ist eine Kämpferin. Sie steht so etwas mit einem Lächeln durch.«
Die Maske des harten Mannes verrutschte nicht einen Millimeter, und ich nahm mir vor, sofort, wenn ich an meinem Schreibtisch säße, Burns zu informieren. Wenn er Liam Morgan nicht schon ins Visier genommen hatte, sollte er das möglichst auf der Stelle tun.
Entweder stand dieser Kerl noch unter Schock, oder er war völlig unsensibel. Denn dass seine Frau wahrscheinlich
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