BLUTIGER FANG (German Edition)
Der Letzte, der abhaut, ist der technische Pförtner. Der schaltet gegen 21 Uhr die Alarmanlagen scharf und verzieht sich. Danach kann gar niemand mehr im Kaufhaus sein, ohne die Alarmanlage auszulösen. Und die Nachtwächter kommen erst um 23 Uhr.“ Joel stierte ununterbrochen zum Ausgang hinüber, aus dem Leute einzeln oder in kleinen Gruppen traten. „Mein Alter hat mal erzählt, dass es deswegen oft Ärger gab, weil das Haus jeden Abend praktisch zwei Stunden unbewacht ist.“
„Aber du hast doch gesagt, die Alarmanlagen seien scharf“, sagte Linda.
„Sind sie auch. Aber das reicht unter Umständen nicht.“ Joel lächelte und wies mit der rechten Hand und ohne vom Personalausgang wegzusehen, auf den Rucksack, aus dem eins der Handbücher ragte. „Und ich weiß mittlerweile auch, warum.“
„Warum?“, sagte Bronco.
Obwohl Joel es schon mehrfach erklärt hatte, brauchten Bronco, Linda und Frank anscheinend doch noch eine gehörige Portion Beruhigung. Zum wiederholten Mal erklärte er ihnen die Einzelheiten und technischen Details. Er versicherte ihnen auch jetzt, dass die Anlagen des Kaufhauses relativ veraltet seien. Das gelte nicht nur für die Schlosssicherungen, sondern auch für die Infrarotsensorik der Kameras, die leicht überlistet werden konnte, weswegen sie auch die Thermoanzüge und Strümpfe brauchten. Joel genoss es, dass ihn seine Kenntnisse über die Alarmanlagen mit einer gewissen Überlegenheit ausstatteten, und er spürte das Gefühl der Unsicherheit bei den anderen. Wieder wurde ihm deutlich, dass er dadurch etwas hatte, was sein Ansehen hob – etwas wenigstens. „Jetzt lasst uns noch mal den Plan durchgehen“, sagte er. „Linda, erzähl uns, was wir machen, wenn der Pförtner abgedüst ist.“
„Also“, sagte sie, „wir gehen in die Tiefgarage und ziehen uns um. Wenn möglich, kriechen wir in eine dunkle Ecke, bevor die Kameras uns aufnehmen. Falls das nicht möglich ist, müssen wir daran denken, dass wir die Videokassetten aus den Rekordern nehmen, und zwar am besten gleich, wenn wir drin sind.“
„ Brav“, sagte Joel, der weiter auf den Personalausgang stierte. „Frank, mach weiter.“
„A-A-Also gut. We-we-we-wenn wir umgezogen sind, fa-fahren wir mit dem Au-aufzug in das Erdgeschoss und halten uns eng beieinander.“ Frank schwieg plötzlich.
„Ja, und?“, sagte Joel, während er weiter über die Straße blickte.
Frank schien wieder Anschluss gefunden zu haben. „We-wenn alles gu-u-gu-gut geht, halten die Thermoanzüge die Wärmeausstra-ha-lung ab und du-du kannst in Ruhe die Bewegungsmelder neu ju-ju-justieren oder ga-ga-gar abschalten.“
„Zum Glück musst du da drin keinen Vortrag halten, Alter!, sagte Bronco, und sie alle – einschließlich Frank – brachen in schallendes Gelächter aus.
„Richtig“, sagte Joel. „Wenn wir drin sind, justiere ich die Melder um, was schnell gehen müsste. Und dann kommt der Rest vom … Hey, es ist so weit, da ist das Zeichen!“
Alle blickten zum Personalausgang, über dem ein Signallicht aufleuchtete, einige Sekunden blinkte und wieder erlosch.
„Irre“, sagte Joel. „Der technische Pförtner hat den Alarm scharf geschaltet und müsste gleich rauskommen.“
Zum ersten Mal, seit sie hier waren, schaute Joel vom Ausgang weg und sah die anderen an. Dann äugte er auf seine Uhr. Kurz vor 20.30 Uhr. „Hoffen wir bloß, dass die Bewegungsmelder kein Ballett machen, weil wir trotz unserer Anzüge Wärmestrahlen abgeben. Sonst wäre der ganze Spaß innerhalb von zehn Minuten vorbei und …“. Er zögerte etwas, wobei er Bronco ansah, „... wir hätten eine Menge Ärger am Hals. Denkt dran: Bevor wir auch nur einen Fuß da reinsetzen, darf kein einziges Körperteil, keine Hautstelle frei liegen. Alles muss abgedeckt sein!“
„Wirklich alles?“, sagte Linda, wobei sie Bronco von unten herauf ansah.
„Verdammt, Linda“, sagte Bronco, „mach keine Späße damit! Mir ist nicht danach, noch mal in den Knast zu wandern. Sechs Monate haben mir gereicht, Scheißdreck auch.“
„Reg dich ab“, sagte Joel. „Bevor wir reingehen, kontrollieren wir das, indem wir uns gegenseitig inspizieren.“
„Außer Bronco inspiziert michkeiner“, sagte Linda und rückte ihrem Angebeteten näher, der immer noch etwas genervt zu sein schien.
„Schau mal, Kramer, ist das der Pförtner?“, sagte Bronco.
Joel spähte hinüber und sah
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