BLUTIGER FANG (German Edition)
Joel. Er würde aufwachen und ihn windelweich hauen, wenn nicht sogar umbringen. Für Joel war es eine todsichere Gewissheit, dass ausgewiesene Tierquäler zur Not auch Menschen umbrächten, wenn es ihnen opportun erschien. Doch das war jetzt nicht das Problem, was ihm bewusst wurde, als ein besonders tiefer und lauter Schnarchzug ihn aus seinen Überlegungen holte.
Joel machte einen Schritt vor, dann noch einen, noch einen und war endlich in Greifnähe zur Geldbörse.
Dann hielt er das Ding in der Hand!
Langsam öffnete er die Börse, beobachtete dabei aber Vater. Nur für einen Moment sah er in das Fach, wo das Kleingeld war, und tatsächlich: Der silberne Depotschlüssel glänzte ihm verführerisch entgegen. Joel nahm ihn heraus, schloss die Geldbörse, legte sie mit zitternder Hand auf den Nachttisch zurück und verzog sich genauso leise, wie er gekommen war, aus dem Zimmer.
Draußen atmete er durch und wischte sich über seine Stirn.
Dann stieg er die Treppe hinab.
Sofort ging er zum Depot und schloss es auf. Wow! Alle Schlüssel da!
Und zu seiner Überraschung waren sie in doppelter Ausführung vorhanden, denn er sah mehr, als er brauchte. Das galt auch für die Chipkarten, die auf der Innenseite aneinander gereiht an der Rückwand lehnten.
Joel nahm einen Satz heraus, verschloss den Depotkasten und hatte jetzt die Aufgabe, den Schlüssel zurückzubringen. Vorher wollte er jedoch in sein Zimmer. Dort zog er eine Nylonschnur durch alle Schlüssel, sodass sie jetzt wie an einem Bund beieinander waren. Dann steckte er den Bund und die Karten in den Rucksack und stieg die Treppe hoch.
Oben erschrak er. Denn gerade als er am Treppenabsatz war, ging die Tür auf und Vater schwankte schlaftrunken und nach Alkohol riechend aus dem Zimmer heraus. Joel tat so, als sei er auf dem Weg ins Bad. Den Schlüssel hielt er fest in der Hand, die augenblicklich zur Faust wurde. Dann eilte er hinüber und öffnete die Badezimmertür.
„Halt, ich muss pissen“, sagte Vater stammelnd.
Joel wich ihm aus.
Was ihn zunächst erschreckt hatte, erwies sich jetzt als Vorteil. Denn während Vater im Bad war, konnte er zügig ins Schlafzimmer gehen und den Depotschlüssel in die Geldbörse zurücklegen.
Noch bevor Vater aus dem Bad kam, war Joel wieder draußen auf dem Flur und tat so, als wartete er, bis er ins Bad könne.
Vater kam heraus und torkelte wortlos an ihm vorbei.
Joel ging ins Bad, vertrieb sich dort etwas die Zeit, spülte und verließ es. Dann eilte er hinunter und ging in sein Zimmer zurück.
Die erste Hürde wäre geschafft, dachte er nicht ohne Stolz und schaute auf die Uhr. Es war fast halb sieben und damit noch etwas Zeit, die er dafür nutzen wollte, noch eins der Handbücher hervorzuziehen und einen bestimmten Abschnitt erneut zu lesen. So gegen 19.30 Uhr würde er losfahren zur Hohnhorststraße, wo sich auch die anderen einfinden würden.
Und dann könnte der Einbruch beginnen – und seine Rache greifen.
12
Der Tierpfleger Tony Walters trat an diesem Samstag seinen Rundgang durch den Park etwas später an als gewohnt. Es hatte heute noch ein Treffen mit seinem Vorgesetzten gegeben, der ihm mitgeteilt hatte, dass seine Kollegen, die sich um die Huftiere und die Vögel kümmerten, schon heute ins Wochenende gezogen wären. Dem einen ging es nicht gut; der andere musste auf eine Hochzeitsfeier und war daher in großer Eile. Tony sollte deshalb zusätzlich nach den Huftieren und den Vögeln sehen, bevor auch er in den Feierabend ging. Und außerdem müsste er am morgigen Sonntag auch die anderen Tiere alleine versorgen.
Na, wunderbar! Totalausfall!, dachte Tony und schaute auf die Uhr. Es war jetzt 19.33 Uhr und seine Kollegen durften ins Wochenende ziehen. Er war somit allein im Park und musste dafür sorgen, dass alles für die Nacht fertig war. Denn über Nacht war nie jemand im Tierpark. Dafür war er viel zu klein und dies war auch nie nötig gewesen. Die Tiere wurden am Abend noch mit ausreichend Wasser und Futter versorgt und das war’s. Doch für ihn bedeutete das, etwa ein bis zwei Stunden länger hier bleiben zu müssen. Ausgerechnet heute, wo er sich mit seiner Frau hatte aussöhnen wollen.
Er trat aus dem Haus und ging zunächst rüber zu den Straußen, die sich schon hingesetzt hatten und den Einbruch der Nacht erwarteten. Tony lief um das Gehege herum, schaute hinein und ging weiter zu den Lamas, die ihn saudämlich anglotzten. Auch hier war alles in Ordnung. Die Pfleger hatten
Weitere Kostenlose Bücher