BLUTIGER FANG (German Edition)
einen Mann herauskommen. Der wandte sich um, verschloss die Tür und prüfte mehrmals, ob sie richtig zu war.
„Ja, das ist er. Jetzt kann also niemand mehr im Kaufhaus sein“, sagte Joel. Er spürte Adrenalin in sich aufsteigen. „Menschen sind jetzt nicht mehr unser Problem. Jetzt bekommen wir es mit der Technik zu tun. Meine Herren und die Dame: Hoffentlich orten uns die Melder nicht, sonst war’s das.“
Nachdem der technische Pförtner in die Tiefgarage gegangen war, warteten sie noch einen Augenblick. Tatsächlich kam wenig später ein weinroter Mercedes heraus.
Joel überprüfte mit einem Feldstecher, ob der Mann im Mercedes auch wirklich der Pförtner war, der jetzt an ihnen vorbei die Hohnhorststraße hinunterfuhr.
Dann überquerten sie die menschenleere Straße und hielten auf den Eingang der Tiefgarage zu. Es war jetzt 20.31 Uhr.
13
Tony Walters beendete das Gespräch, das ihn so lange aufgehalten und noch mehr verärgert hatte. Er drückte Auflegen, steckte das Handy in die Ledertasche, die am Gürtel des Overalls hing und schaute in den Löwenkäfig. Dann äugte er erneut auf die Uhr. Es war schon halb neun durch, und jetzt wollte er endlich seine Arbeit erledigen und dann nach Hause gehen. Gähnend ging er zunächst in den Pflegerraum.
Die Konstruktion des Löwenhauses war so angelegt, dass der Pflegerraum drei Türen hatte: Eine, die in den Besucherraum, eine, die zum Innenkäfig, und eine, die direkt ins Freigehege führte. Draußen im Gehege, in das man nur durch den Pflegerraum gelangen konnte, gab es als Anbau ans Löwenhaus einen Schuppen, in dem alle Gerätschaften untergebracht waren, die man zur Tierpflege brauchte. Das Problem mit dem Raum war, dass er nicht vom Inneren des Löwenhauses zugänglich war. Der Pfleger musste deshalb immer ein Stück durch das Gehege latschen, um die Utensilien zu besorgen. Und das führte zu einer umständlichen Handhabung der Tierpflege. Tony musste peinlich genau darauf achten, dass die Löwen im Innenhaus waren, wenn er hinauswollte. Und es musste auch stets darauf geachtet werden, dass die Außentür des Pflegerraums zum Gehege verschlossen war, bevor die Tiere nach draußen kamen. Denn es gab keinerlei Abfangbereiche mehr, etwa ein Windfang, eine zweite Tür oder Ähnliches. War man im Pflegerraum und machte die Tür zum Gehege auf, stand man sofort in der Pampa – oder, im Umkehrfall, die Löwen wären direkt hier drin gewesen.
Die Kontrolle, ob die Großkatzen das Haus verlassen hatten, war relativ einfach. Neben der Tür zum Käfig gab es einen Durchguck, durch den der Innenkäfig vollständig zu überblicken war. Mit der Überwachung des Geheges war es schon schwieriger, denn das war relativ groß und es gab auch – jedenfalls vom Pflegerraum aus – keine Sichtmöglichkeiten.
Insgesamt war die Konstruktion sowohl des Hauses als auch des Freigeheges für die Haltung von Großkatzen im Grunde ungeeignet und bedenklich. Tony monierte immer wieder, dass Einrichtung und Anlage des Komplexes ungenügend, hektisch und vor allem mit Einsparungen an den falschen Stellen umgesetzt worden waren. Hier wollte jemand ums Verrecken einfach nur schnell mal ein paar Löwen halten, so wie andere Leute sich einen Hund anschaffen. Die Voraussetzungen zu einer solchen Tierhaltung waren dabei nicht genügend bedacht worden, das Ganze ein einziger Kompromiss. Ein Kompromiss, den die Kaufhausleitung unter dem Hinweis auf Umsatz, Gewinn und Arbeitsplatzerhalt mit Sicherheit auch beim Bürgermeister und den zuständigen Behörden nachdrücklich befürwortet hatte, um es gelinde darzustellen.
Tony ging gerade zum Durchguck und schaute noch einmal zu den Löwen, die im Käfig lagen und vor sich hin dösten. Beim Anblick der Tiere gähnte auch er wieder. Er hatte einen langen Tag hinter sich und obendrein seit einiger Zeit ein Schlafdefizit aufgebaut, das er ab heute eigentlich abbauen wollte.
Er ging in den Kühlraum, wo das Fleisch für die Tiere lagerte. Sie brauchten ungefähr 25 Kilogramm und wurden einmal pro Tag gefüttert. 25 Kilo, das hieß für Tony dreimal laufen.
Im Kühlraum öffnete er eine Box, in der das Rindfleisch lagerte, und holte die erste Ration heraus. Wieder zurück im Pflegerraum, packte er es gleich in den Futterschieber, der zum Gehege hinausführte. Den Schieber selbst betätigte er aber noch nicht. Einmal, weil er noch Fleisch nachlegen wollte, und zum anderen, weil er das in der Regel erst tat, um die Löwen ins Freie
Weitere Kostenlose Bücher