BLUTIGER FANG (German Edition)
führte.
Nachts lag der vordere Teil des Restaurants im Dunkeln. Nur Richtung Terrasse wurde es etwas heller, bedingt durch das Licht, das die Außenreklame und in klaren Nächten der Mond durch die Glasfront warfen.
Doch die scharfen Augen der Großkatzen hatten keine Mühe, sich zurechtzufinden. Aus ihrer Sicht war es hier praktisch taghell – wenn auch nur schwarzweiß, aber eben taghell. Und das reichte ihnen – zur Jagd wie zur Verteidigung.
Joel und Frank arbeiteten sich immer weiter vor. Sie schlichen zwischen den Regalen der Lebensmittelabteilung hindurch auf die Herrenabteilung zu, wo sie die Rolltreppen von vorn sehen und die Lage überblicken zu können glaubten.
Dort angekommen – das Geräusch war immer noch zu hören – drehte sich Joel um und entdeckte, dass die Rolltreppe in Betrieb war! Gleichmäßig surrend kam und verschwand Stufe um Stufe.
„Das darf doch nicht wahr sein“, sagte er und patschte sich mit der Hand gegen die Stirn. Dann schaute er an den Rolltreppen vorbei in Richtung des Hauptausgangs, der still, dunkel und von hier aus kaum sichtbar in der Ferne lag. „Mist!“ Er erhob sich aus der Kniestellung und merkte, dass Frank deswegen erschrak. Offenbar hatte der noch immer nicht begriffen. Joel indes trat hinter einem Ständer mit Sakkos hervor und rannte zur Rolltreppe.
Plötzlich lösten sich die Schatten von Bronco und Linda aus der Dunkelheit. Sie kamen ebenfalls zu den Rolltreppen.
„Was ist denn?“, sagte Bronco und sah Joel an.
„Ihr Penner müsst bei eurer Knutscherei im Büro an irgendwelche Knöppe gekommen sein und habt die Rolltreppen auf Dauerbetrieb geschaltet, den Haupteingang geöffnet und was weiß ich nicht noch alles.“
„Was, wir?“, sagte Linda. Sie versuchte es mit dem Blick eines unschuldigen, kleinen Mädchens.
Joel sah Frank an, dem jetzt auch ein Licht aufzugehen schien. Er schüttelte nur den Kopf.
Bronco stritt es erst gar nicht ab.
Joel sah ihm an, woran er dachte. Ihm wurde offenbar gerade klar, dass das passiert sein musste, als er Linda gegen die Schränke gedrückt hatte.
„Ich … ich bin tatsächlich mit den Händen an irgendwelche Schalter gekommen, ja … aber betätigt?“ Bronco sah Linda an, bevor er weitersprach. „Vielleicht war es dein königliches Gesäß, Madame.“
Joel hatte keine Lust, sich auf eine Diskussion einzulassen, nach dem Muster: Wer hat wann was getan? Er würgte Linda ab, die sich anschickte, etwas zu sagen. „Los jetzt, wir müssen ins Büro und herausfinden, welche Schalter ihr betätigt habt.“
Sie rannten zurück und machten sich sofort an die Rekonstruktion der Vorgänge.
Alle Schrankwände waren offen. In vielen leuchteten LEDs, deren Bedeutung sie nicht kannten. In anderen waren gar keine LEDs, sondern nur Knopfleisten; wieder andere hatten beides. In den beiden Schränken, die schnell in die nähere Auswahl kamen, weil sie vorhin bei diesen gestanden und sich abgeknutscht hatten, waren sowohl helle als auch dunkle LEDs.
„Also, an welchem der beiden Schränke wart ihr?“
Bronco und Linda sahen einander an. Dann blickten sie zu den Schränken und sahen sich in die Augen.
„Hm“, machte Bronco und fand endlich Worte, „ich glaub, der war’s.“
„Was? War’s nicht der?“, sagte Linda und zeigte auf den Schrank daneben.
Joel merkte schnell, dass mit ihnen nicht zu rechnen war. Sie hatten nur sich im Kopf gehabt – die Schränke interessierten sie keinen Deut. Er ballte die rechte Faust. „Verdammt, Leute, der Haupteingang steht offen wie ein Scheunentor, und ihr wisst nicht, vor welchem Schrank ihr euch abgelutscht habt?“
„Nun mal langsam, Kramer. Pass auf, was du sagst.“
Joel erschrak. Bronco hatte wieder diesen Ton und diesen Blick, den er von den Begegnungen im Club zur Genüge kannte. Er schluckte trocken. „Also, lasst mal sehen … ihr habt die Rolltreppen in Bewegung gesetzt und den Hauptausgang geöffnet. Los, wir suchen den Schrank ab, wo über den LEDs Beschriftungen sind.“
Joel und Bronco suchten den in die Wahl gekommenen Schrank ab, indem sie Reihe für Reihe die Beschriftungen über den LEDs durchgingen und die zum Teil schwer erkennbaren Buchstabenfolgen entzifferten.
Frank und Linda suchten den anderen Schrank ab.
Bronco wurde fündig. „Hier, ich hab’s.“
Er leuchtete mit seiner Taschenlampe auf eine Leiste mit Knöpfen, über denen Aufkleber von Hand beschriftet waren:
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