BLUTIGER FANG (German Edition)
zögerte auch die andere Löwin nicht mehr und im Nu hockten alle drei Großkatzen auf der – vom Boden des Wassergrabens aus gerechnet – gut fünf Meter hohen Mauer und blickten unsicher umher. Dank des Fahrzeugdachs, von wo aus sie gesprungen waren, hatte sich die Mauerhöhe um etwa drei Meter verringert.
Sie wandten sich um und spähten hinunter. Jetzt schien es ihnen doch mulmig zu werden. Eine der Löwinnen wollte zurück. Doch der Anblick des Fünf-Meter-Abgangs dämpfte ihre Neigung entschieden. Sie sah den Pascha an, der den Blick nicht von der Hochterrasse ließ und plötzlich einen zweiten Sprung ausführte. Dieses Mal setzte er wieder über eine Höhe von zwei Metern und eine Entfernung von gut zweieinhalb Metern. Als könne er fliegen, stieß ihn die kräftige Beinmuskulatur in die Luft und über die Mauerbrüstung der Hochterrasse hinüber. Er wäre unhörbar auf dem Boden der Freiterrasse gelandet, wenn er nicht einen Tisch umgerissen hätte, der mit Gepolter auf dem Steinboden aufschlug.
Die Löwinnen folgten ihm auch hierher und setzten sich gekonnt auf der Hochterrasse ab, wo sie in alle Richtungen äugten und witterten und zwischen den Tischen und Stühlen im fahlen Mondlicht hin und her huschten.
Der Pascha hielt auf die Glastüren zu, die ins Restaurant führten. Sie befanden sich unter einem Vordach, wo das Mondlicht nicht hinkam, weswegen der Eingangsbereich der dunkelste Ort auf der Terrasse war. Auch vor dem Licht, das von der Kaufhausreklame oben an der Hausmauer kam, waren sie hier gut geschützt. Deshalb folgten ihm die Löwinnen und jetzt saßen alle drei bei den Glastüren und kauerten beieinander.
Ein seltsames Bild. Drei ausgewachsene Löwen auf der Hochterrasse eines Kaufhauses, die eigentlich dazu diente, den Blick auf sie zu ermöglichen. Jetzt saßen sie unversehens selber da oben und wussten nicht so recht, was sie mit ihrer Freiheit anfangen sollten.
Unbewegt verharrten sie. Nur einmal schritt eine der Löwinnen zur Terrassenmauer zurück, stützte sich mit den Vorderpfoten hoch und sah hinunter. Sie sah die Raupe, das Gehege und in der Ferne auch den toten Pfleger liegen. Sie schien noch einmal ins Gehege hinunterschauen zu wollen, um die Lage zu checken. Wie sie da so stand und hinunterblickte, hätte man meinen können, das Tier erwäge die Möglichkeiten einer Rückkehr ins Gehege. Doch der Anblick des Abgrunds ernüchterte sie wohl entschieden.
Die Löwin blickte umher. Dann wandte sie sich um und lief zu den anderen zurück, die von der Mauer aus kaum zu sehen waren.
„Seht mal, ich ha-ha-hab hi-hier so’n Ding. Is-ist da-da-das eins?“
In der Tat zeigte Frank auf ein kleines Gehäuse, wie Joel es beschrieben hatte. Es war ein Magnetlösegerät, das fest im Kassenbereich montiert war und aussah wie eine chromfarbene fliegende Untertasse, die falsch herum gelandet war. Das Kaufhaus verwendete offensichtlich nur diese Modelle – SMD 8730 von Carlyle Security –, denn er selbst sowie Linda und Bronco fanden ebenfalls nur diesen Typ.
Auch die Ablösegeräte für die Softetiketten waren fest bei den Kassen montiert und deren Stromverkabelung sogar vorhanden. Joel musste nur vom Büro des technischen Pförtners aus die Stromversorgung aktivieren, dann konnte es losgehen mit der Klauerei.
Sie gingen zurück ins Büro.
Unterwegs fiel von draußen wieder ein Lichtstrahl in das Erdgeschoss, der sie dieses Mal nicht mehr aufregte.
Im Büro zurück, wies Joel darauf hin, dass er den Kassenstrom einschalten wolle. Bronco, der auf die Uhr geschaut hatte – es war schon 21.30 Uhr durch – mahnte zur Eile.
Joel gab Anweisung, alle Schränke zu öffnen, in denen irgendwie Elektronik untergebracht sein könnte.
Viel war da nicht mehr zu öffnen, denn sie hatten schon beim ersten Eintritt so ziemlich alles aufgerissen, was an Schränken vorhanden war. Überall Elektronik, Knöpfe, Schalter, Schieberegler, Kabel, Monitore, Karten, Lagepläne und Schlüsseldepots, deren eines gerade von Joel geöffnet wurde.
„Hier sind sogar Spezialwerkzeuge für Kreuzbartschlösser drin“, sagte er, blickte auf Broncos Werkzeugtasche und dann zu Bronco, der nur die Schultern hob.
Joel ging langsam an den Schrankwänden entlang und las die Aufkleber, die über den Knopfreihen angebracht waren.
Kurz darauf fand er die Schaltreihe, die sämtliche Kassen im Kaufhaus mit Strom versorgte. An einem kurzen Geratter und Piepsen hörten sie, wie die Kassen ansprangen, zunächst in
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