BLUTIGER FANG (German Edition)
„Und was tut der hier?“ Lindas Stimme klang noch dünner.
Joel blickte in ihr Gesicht, das er kaum sehen konnte. Dann sah er zu Bronco.
Der klatschte sich gerade mit der Hand gegen die Stirn. „Ich fass es nicht“, sagte er, „der Nikolaus macht ‘n Bruch. Wenn … wenn der den Safe geknackt hat, dann sag’ ich euch gleich, dass der mir die Kohle nicht vor der Nase wegschnappt.“ Broncos Ton war kalt und hart. Der ließ keinen Zweifel aufkommen hinsichtlich des Ernstes, mit dem er meinte, was er sagte.
Und das wühlte Joel auf. Denn bis jetzt waren sie allein im Kaufhaus und hatten nur vor zu stehlen. Eine Begegnung mit anderen und daraus hervorgehende Konflikte mit ungewissem Ausgang waren hingegen nicht vorgesehen. Joel traute Bronco vieles zu. Der Tierquäler würde im Zweifel keine Skrupel kennen, auch gegenüber Menschen seine Interessen mit allem Nachdruck durchzusetzen.
„Wo ist denn nun Frank?“, sagte Linda und holte Joel aus seinen Gedanken.
Weder er noch Bronco brachten eine schlüssige Antwort zustande.
Sie beobachteten, wie der Fremde das Licht im Büro aus- und die Tür zumachte und dann in Richtung des Restaurants losschwankte, wobei er unverständliches Zeug murmelte. Jetzt, wo die Bürotür zu war, umhüllte ihn die Dunkelheit wie ein schwarzer Schleier. Die Gestalt des Fremden war nur noch als Schemen zu erahnen, der einsam und verloren an den Schränken vorbeizog. Nur hier und da, wenn zwischen den Schränken ein Stück weiße Wand frei lag, hob sich seine Kontur etwas deutlicher vom Hintergrund ab.
Plötzlich machte der Fremde eine Taschenlampe an und leuchtete nicht nur vor sich her, sondern begann auch – wohl aus alter Wachmannsgewohnheit – die Umgebung zu sichten. Einmal glitt der Lichtstrahl auch über ihre Köpfe hinweg. Doch hinter dem verblendeten Treppengeländer waren sie wohl sicher.
Der Mann leuchtete zunehmend den Eingangsbereich des Restaurants ab, wobei er die Lampe kaum einmal ruhig hielt, sondern unentwegt zitterte und wackelte. Anscheinend war er betrunken.
Abrupt schreckte Linda auf. „Da liegt was …!“
„Das bildest du dir ein“, sagte Bronco wie aus der Pistole geschossen. Er konnte jedoch nicht die geringste Ahnung haben, ob sie nicht doch Recht hatte.
Joel schüttelte den Kopf. „Was glaubst du, hast du liegen sehen?“ Er bemühte sich, so leise wie möglich zu sprechen.
„Ich weiß nicht“, sagte sie flüsternd, „es lag auf dem Boden vor dem Eingang … ich konnte es nicht genau erkennen.“
„Still“, sagte Bronco und wies kopfnickend auf den Fremden.
Der war auf halber Wegstrecke zum Restaurant stehen geblieben, leuchtete überall in die Abteilung und auch zu ihnen herüber. Dann schlurfte er murmelnd weiter. Unablässig zerschnitt der Lichtstrahl die Luft in alle Richtungen. Der Fremde brummte vor sich hin, blieb stehen, faselte Worte wie: „Das habt ihr jetzt davon“, und ging weiter, wobei er sein Tempo etwas beschleunigte.
Unweit des Eingangs stieß er gegen etwas, das am Boden lag und im Schein der Lampe zu sehen war. Er stolperte – so heftig, dass er sein Gleichgewicht nicht mehr halten konnte und vornüber hinfiel.
Röchelnd lag er auf dem Boden, setzte sich unter Mühen auf und versuchte aufzustehen. Der Schein der Taschenlampe, die ihm aus der Hand gefallen war, leuchtete von dem Etwas weg, das er zu befühlen anfing.
Plötzlich hörten Joel, Linda und Bronco laut und deutlich eine versoffene Stimme: „Ja leck Arsch! Was ist denn hier los?“
Joel schluckte trocken und versuchte, seinen Augen alles abzuverlangen. Weit riss er sie auf, als der Fremde die Taschenlampe nahm und den Gegenstand ableuchtete, über den er gestolpert war.
Es war Frank! Regungslos lag er am Boden!
„Jessas! Was … Wer … Wie …?“ Der Fremde machte ein, zwei Schritte rückwärts.
Joel vermeinte gesehen zu haben, dass das Gesicht Franks ganz dunkel war, irgendwie verschmiert. Oder hatte er nur den Hinterkopf gesehen? „Was ist hier passiert?“ Er hörte sich selbst kaum, so leise sprach er.
Die anderen reagierten nicht, sondern beobachteten den Fremden, der gerade wieder auf die Beine kam.
18
Ringer war mit einem Schlag fast nüchtern. Der Schreck über die Entdeckung hatte den Alkohol offenbar verdunsten lassen. Endlos viele und dabei glasklare Gedankenfetzen schossen ihm durch den Kopf. Der erste Impuls war, Polizei und Rettungsdienst zu rufen, doch verwarf er das, weil es in
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