BLUTIGER FANG (German Edition)
in der Nähe der Schmuckabteilung sein. Welche Ironie: Kaum war die elektronische Sicherung ausgeschaltet, gab es gratis eine „Biosicherung“.
Verdammt, der viele Schmuck! Wie leicht könnte er das Zeug absetzen, zu Geld machen, in dieser Nacht doch noch einen Coup landen und dann aus dieser öden Stadt verschwinden!
Doch jeder Impuls, der in ihm aufzuckte und ihn dazu bringen wollte, wieder hineinzugehen, wurde von den Bildern an die Löwen im Keim erstickt. Sein Wille schlug nur noch aus wie eine alte Zündkerze. Schwache Funken, die nicht wirklich griffen. Selbst hier und jetzt noch, in der Sicherheit außerhalb des Kaufhauses, im Schutz des Autos, hatten die Löwen Macht über ihn. Er sah im Geiste wieder und wieder, was der Pascha mit dem zweiten Wächter gemacht hatte. Seine rechte Hand fuhr dabei zärtlich über die Geldscheine und der Überlebenswille flüsterte ihm leise zu: Lass gut sein, Kumpel.
Er sah sich im Rückspiegel an und musste lächeln. Du bist mir ein schöner Held! Und er dachte an Linda und Frank und all die anderen im Club. Wenn sie ihn jetzt sehen könnten!
Doch das Einzige, was für ihn zählte, war, dass er lebte. Als Lebender konnte er etwas tun. Er konnte die Geschichten, die sich um ihn ranken würden, beeinflussen, hatte die Möglichkeit, an den Bildern mitzupinseln, die andere von ihm malen würden. Als Toter konnte er das nicht. Und er verspürte auch nicht die geringste Lust, als eine Art Verbrecherheld oder Märtyrer in die Analen von Gehrsdorf einzugehen. Er wollte in Freiheit leben. Was nutzte ihm da schon der Schmuck?
Schon war er dabei, den Zündschlüssel umzudrehen.
Dann hielt er inne.
Was hatte er eben gedacht? In Freiheit leben?
Plötzlich schoss eine Lawine über ihn hinweg. Denn jetzt erst wurde ihm klar, was es war, woran zu denken er die ganze Zeit vermieden hatte. Und diese Gedanken hatten einen Kern, der sich in einem Wort ausdrücken ließ: Verrat!
Seine Hand fiel vom Zündschlüssel weg, die Schultern, sonst aufrecht und stark, sackten zusammen und er lehnte sich in den Sitz zurück.
Er dachte an Linda und vor allem an Kramer. Er hatte bei seiner Flucht überhaupt nicht erwogen, dass er nicht so einfach abhauen könnte.
Linda bewachte Kramer – wahrscheinlich immer noch. Tja, und dann? Was wäre, wenn er nicht zurückkäme? Wie lange würden sie noch so dasitzen und warten? Irgendwann müsste ihr ja einleuchten, dass er sie gleich mitverarscht hätte, als er abhaute. Also, wie würde er dastehen? Was konnte er sagen?
Bronco dachte an die Löwen. Was war, wenn die gar nicht mehr im 1. Stock lauerten, sondern hinuntergeschlichen waren? Womöglich töteten sie gerade Linda und Kramer?
Und überhaupt: Kramer! Was war mit ihm?
Bronco wusste, dass alles herauskäme, wenn der bei den Bullen saß, denn der war völlig anders gestrickt als er. Der würde ein Liedchen vorsingen, das spätestens im Refrain auch seinen Namen enthielt. Der würde sie alle verpfeifen.
Bei dem Gedanken an Verrat, den er von Kramer schon ausgeübt sah, kam Bronco auch darauf, dass das Kaufhaus noch voller Spuren war, die spätestens der Putzdienst am Montagmorgen oder der Pförtner entdecken würde.
Und dann Frank, der wahrscheinlich schon tot war. Doch was, wenn nicht? Was wäre, wenn der doch überlebte? Was würde der tun, vor allem nach dem, wie er sich ihm gegenüber verhalten hatte?
Bronco musste ihn fortschaffen, irgendwie. Selbst wenn Frank tot war, konnte er ihn nicht einfach liegen lassen. Das hatte früher am Abend schon Linda völlig richtig gesehen. Denn von Frank auf ihn würden die Bullen schneller schließen als ein Jäger von der Hasenkacke auf das zugehörige Langohr.
Bronco betrachtete seine Wangen im Rückspiegel. Sonst stramm und fest, wurden sie zusehends schlaffer. Sein ganzer Gesichtsausdruck schäumte vor Enttäuschung.
Die Probleme türmten sich auf und drangen massiv in sein Innerstes, das sie so fest umschlossen wie erkaltete Lava, die alles versteinert.
Und wie versteinert saß Bronco jetzt auch im Auto. Er dachte Lösungswege durch. Doch wie er es auch drehte und wendete, alles lief darauf hinaus, dass er in dieses gottverdammte Kaufhaus zurückmusste.
Jetzt hegte er ganz deutlich den Wunsch, Frank möge doch gestorben sein, denn eines wurde immer klarer: Der Lebende würde mehr Probleme verursachen als der Tote. Den Toten konnte man aus dem Kaufhaus schleppen und irgendwo im Harz verscharren. Dann würde halt niemand wissen, wo er
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