BLUTIGER FANG (German Edition)
abzuschnallen. Auch den Impuls, ihn nach Munition abzusuchen, unterdrückte er. Deshalb prüfte er den Munitionsstand beider Waffen. In der einen waren noch sieben Schuss, in der anderen fünf. Also zwölf Schuss insgesamt – das müsste reichen, um sich gegen die Löwen zu verteidigen, falls sie ihn angreifen sollten.
Doch warum sollten sie es? Wie und warum könnte es dazu kommen? Die Löwen würden nur angreifen, wenn sie sich bedroht fühlten.
Immer und immer wieder sagte er sich diesen Satz innerlich vor. Wodurch sollten sie sich bedroht fühlen? Doch nur, wenn er ihnen auf die Pelle rückte – und das hatte er beileibe nicht vor.
Verdammt, wenn er doch wüsste, wohin genau die Löwen geflüchtet waren! Ihm fiel ein, dass die Schmuckabteilung mit offenen Vitrinen auf ihn wartete. Er sah in die Richtung, in die die Löwen gerannt waren. Dort war alles dunkel und still. Nur hier und da erleuchtete ein Dämmerlicht in der Spielwarenabteilung und bei den Computern die völlige Dunkelheit zu einer trüben Wand.
Bronco schob seine Hände in die Hosentaschen und fing an, die Geldscheine zu befühlen. Keine zehn Pferde könnten ihn dorthin bringen, wo vermutlich die Löwen waren. Auch mit den Waffen nicht! Er wusste, dass er den Tieren hinsichtlich der Wahrnehmung weit unterlegen war. Sie würden ihn schon sehen, hören, riechen oder spüren, bevor er auch nur Papp sagen konnte. Sie könnten blitzschnell zwischen zwei in völligem Dunkel liegenden Regalen hervorgestürzt kommen und ihn niederreißen. Vorhin erst hatte er ja gesehen, wie schnell das ging. Den Wächtern hatten auch die Waffen nichts genützt, wiewohl eine Löwin jetzt tot war. Bei einem Löwen und unter guten Sichtbedingungen hätte er sich vielleicht durchgerungen, den Schmuck abzuräumen. Aber nicht bei zweien und nicht in dieser Dunkelheit. Er hatte ja mitbekommen, wie lautlos die Tiere waren, wie schnell, wie gewaltig – und davor hatte er einen gehörigen Respekt. Selbst wenn er einen Löwen erschießen könnte, hätte der andere noch Zeit genug, ihn aufzumischen. Nein danke!
Seine Finger glitten zärtlich über die Geldscheine.
Bronco dachte an Konrad und die Schulden bei ihm. Und er dachte daran, dass deutlich mehr Geld in der Tasche gewesen war, als sie erwartet hatten.
Ich will eines Tages im Bett sterben. Alt, glücklich und an der Seite zweier liebreizender Krankenschwestern. Ich will nicht als Löwenfutter enden.
Er lächelte.
Dann machte er sich auf zum Fahrstuhl.
25
Bronco bewegte sich über die Maßen vorsichtig. Denn je weiter er sich von dem Lichtkegel entfernte, den die Deckenbeleuchtung des Restaurants in die Kaufabteilung hinauswarf, desto dunkler wurde es.
Er fröstelte und als er in die Spielwarenabteilung kam, hatte er die Hosen gestrichen voll. Mit der Waffe in der zitternden Hand vor ihm, schlich er, ohne zu atmen, durch die Regale und versuchte, alles gleichzeitig im Auge zu behalten.
Die Strecke zum Lift hatte etwas Labyrinthisches.
Seine Hand zitterte, ohne dass er etwas dagegen tun konnte, und seine Beine waren in nie zuvor gekannter Weise weich. Er versuchte, erst um die jeweils nächste Ecke zu blicken, bevor er um ein Regal herumschlich.
Gespenstische Ruhe.
Endlich war der letzte Regalgang durchschritten. Er konnte jetzt die Außenwand sehen, an der zur Linken die Fahrstühle waren. Einer stand auch auf dieser Etage bereit.
Bronco blickte um sich, vor sich und auch über die Regale hinweg zur Computerabteilung, wo er die Löwen vermutete. Dass diese Blickperspektive Unsinn war, wusste er im Grunde, denn so wären die Löwen niemals zu sehen gewesen. Trotzdem musste er hinüberstarren, es war wie ein Zwang.
Bronco schaute noch einmal nach allen Seiten und blickte über den Gang, den die Hauswand mit dem jeweiligen Ende der Kaufabteilungen bildete. Auch dort war, so weit das Auge reichte, alles unverdächtig.
Der Eingang, von dem Bronco nur noch wenig entfernt war, lag links vis-a-vis. Ein letzter Kontrollblick, noch einmal Horchen, um vielleicht doch das Unhörbare aufzuspüren, und dann hetzte er die vielleicht fünf Meter wie ein aufgeschrecktes Tier los.
Am Lift angekommen, betätigte er alle Knöpfe. Zum Glück ließen sich die Fahrstühle hier drin auch ohne Chipkarten öffnen.
Die Sekunden des Wartens kamen ihm wie eine Ewigkeit vor.
Es war eine Erlösung, als das Zischen endlich zu hören war. Er machte einen Satz in den Fahrstuhl, ließ drinnen vor lauter Hektik die Waffe fallen und
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