Blutiger Freitag
fragen.“
Patrick zog sein Handy aus der Tasche. Keine SMS, keine Nachricht, keine Anrufe in Abwesenheit. Er kannte Dixons Handynummer nicht, und Rebecca hatte kein eigenes Telefon dabeigehabt. Warum hatte sie das gemacht? Stand sie noch unter Schock? Vielleicht war ihr gar nicht klar gewesen, was sie tat.
Er bedankte sich bei dem alten Mann und ging Richtung Ausgang. Wenn sie so durcheinander war, konnte Rebecca doch noch nicht weit gekommen sein.
Die Tür führte in eine Lobby. Ein Tisch und zwei Klappstühle waren aufgestellt worden. Zwei blau uniformierte Sanitäter versuchten verzweifelt, Ordnung in das Chaos der hereinströmenden Leute zu bringen. Patrick konnte kaum etwas sehen in diesem Durcheinander. Zu seiner Rechten entdeckte er die Fahrstühle, und links hinten sah er einen Ausgang. Der führte wahrscheinlich auf die Straße.
Einen Moment lang stand Patrick nur da und blickte von einer Ecke zur anderen. Wohin war Rebecca gegangen? Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie sich durch diese Menschenmenge gekämpft hatte. Menschenmengen waren für sie ein Horror, und das nach allem, was sie gerade durchgemacht hatte? Aber sie war nicht sie selbst. Wahrscheinlich stand sie noch immer unter Schock. Während seines Praktikums beim Brandschutz hatte er erfahren, wie sehr ein Schock körperlich schwächen konnte. Wenn Rebecca das Gebäude verlassen hatte, war ihr womöglich nicht klar gewesen, wie kalt es geworden war.
Er ging Richtung Ausgang. Gerade als er die Tür aufschob, kam ein Uniformierter vom Parkplatz direkt auf ihn zu.
„Sie da. Warten Sie mal. Was haben Sie denn vor?“
30. KAPITEL
Nick lehnte sich in seinem Stuhl zurück und rieb sich die Augen, um die Müdigkeit zu vertreiben. Er brauchte nicht auf die Uhr zu sehen. Die Stoppeln auf seinem Kinn sagten ihm, dass es spät war. Sein Magen erinnerte ihn daran, dass er seit heute Morgen nichts mehr gegessen hatte. Ihm brummte der Schädel. Hier in dem Raum war es zu warm, und kein Tageslicht fiel herein. Seine Augen waren von dem Starren auf die grellen Monitore völlig ausgetrocknet. Und natürlich half es auch nicht, dass Maggie O’Dell neben ihm saß. Dicht genug, dass er ihren Duft wahrnehmen konnte. Und das machte es noch schwerer, sich zu konzentrieren. War es ihr Shampoo? Eine Körperlotion? Parfüm?
Seit Stunden starrten er und Maggie auf diese Aufnahmen, immer auf der Suche nach den drei Jungen und der Route, die sie eingeschlagen hatten. So gut es möglich war, verfolgten sie den Weg der drei durch das Einkaufszentrum, suchten die entsprechenden Kameraaufzeichnungen heraus und begannen von vorn. Um in den zweiten Stock zu gelangen, hatten die jungen Männer sicher die Rolltreppen oder das Treppenhaus benutzt. Und sie mussten vorher durch einen der Eingänge in die Mall gekommen sein. So brachte sie ihre Schlussfolgerung Schritt für Schritt von einer Kameraaufzeichnung zur nächsten, von einem Filmsegment zum anderen. Es war öde und ermüdend, und nun wollte Maggie einige Aufnahmen von Neuem ansehen, immer wieder.
Yarden war viel geduldiger als Nick. Nick konnte sich einige Male ein Aufseufzen nicht verkneifen, doch Maggie würdigte ihn nicht eines Blickes. Sie befand sich in einer anderen Welt. Und Yarden bewies eifrig, dass er ein Meister im Umgang mit den Tasten war, seine Finger wurden nie langsamer, seine Aufmerksamkeit ließ nie nach, seine Geduld war bewundernswert. Nicht ein einziges Mal murrte er, hinterfragte etwas oder zögerte. Er war der geborene Diener, wollte immer gefallen, konnte nicht schnell genug die nächste Bitte erfüllen. Obwohl Nick theoretisch Yardens Vorgesetzter war, strahlte der kleine Mann Maggie geradezu an. Er wartete grundsätzlich zuerst ihre Anweisungen ab, ganz egal, was Nick sagte. Im Grunde konnte Nick ihm das nicht verübeln. Maggie strahlte eine ungezwungene Ruhe aus, eine Aura, die man sofort spürte, wenn sie den Raum betrat. Als würde sie sagen: „Ich weiß, das hier ist schwierig, aber das kriegen wir schon hin“.
Nick erinnerte sich noch sehr gut an dieses Gefühl. Genau so war es gewesen, als Maggie vor vier Jahren nach Nebraska gekommen war, wo ein Serienkiller in Platte City eine Panik ausgelöst hatte. Als Sheriff war Nick damals für den Fall zuständig gewesen. Er hatte die Untersuchungen leiten müssen. Noch heute erinnerte er sich, wie ihm die Sache über den Kopf gewachsen war, wie er ständig gegen diese Angst zu versagen angekämpft hatte. Maggies Anwesenheit hatte ihn
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