Blutiger Freitag
den Rücken und das Gesicht hinunter. Er musste sich immer wieder über die Augen wischen. Der Overall klebte an seiner Haut, es war fürchterlich heiß in dieser Maschine. Wie lange war er hier schon drin? Ihm kam es wie Stunden vor, aber er wusste, dass es natürlich viel weniger war. Zwanzig Minuten? Vierzig? Vielleicht eine Stunde.
Er machte sich mit seiner Panik nur selbst fertig. Seine Schulter tat weh, nachdem er sich damit immer wieder gegen die fest verschlossene Luke geworfen hatte. Der einzige Grund, warum er nicht nach Hilfe schrie, war der Narbenmann. Patrick hätte ihm nur ungern erklärt, warum er hier im Trockner steckte.
Er beschäftigte sich inzwischen damit, den Gummiring am Verschluss der Luke herauszupulen. Das letzte Stück, endlich. Nur dass es keinen Unterschied machte. Es hatte nicht im Mindesten irgendetwas gelockert. Die Luke rührte sich kein bisschen. Dafür taten ihm die Fingerspitzen weh, nachdem er sie die ganze Zeit zwischen die Metallringe geschoben hatte. Trotzdem hatte er sie nicht verbiegen und die Luke so aufstemmen können. Die Verletzung an seinem Handballen blutete zwar nicht mehr, pochte aber schmerzvoll. Langsam fiel ihm nichts mehr ein. Und trotz der Theorie mit den Lüftungsklappen wurde der Sauerstoff langsam dünn.
Okay, es war schlimm, aber wenigstens steckte er nicht in einer Kühltruhe.
Als er Maggie das erste Mal getroffen hatte, arbeitete sie gerade an einem Mordfall in Connecticut. Am Ende hatte der Killer sogar landesweit Schlagzeilen gemacht – ein psychisch Gestörter, der seinen Opfern die kranken Körperteile wegschnitt und sie wie medizinische Ansichtsexemplare in Gläsern aufbewahrte. Die Leichen hatte er in Zweihundertfünfziglitertonnen in einem verlassenen Steinbruch versteckt. Der Typ hatte es geschafft, Maggie in eine Kühltruhe zu sperren, um sie zu erledigen. Als sie schließlich gefunden wurde, war sie schon kurz vor dem Erfrieren gewesen. Sie war so unterkühlt gewesen, dass die Ärzte ihr das Blut aus dem Körper gezogen, es erwärmt und ihr wieder zugeführt hatten. Erstaunlich, was man heutzutage alles machen konnte. Erstaunlich, dass sie das überlebt hatte. Maggie war überhaupt ziemlich erstaunlich. Warum fiel ihm das denn jetzt erst ein?
Damals war sie noch eine vollkommen Fremde für ihn gewesen. Sie hatte ihm leidgetan, aber mehr nicht. Trotzdem hatte Patrick sie im Krankenhaus besucht, hatte manchmal an ihrem Bett gesessen und ihr Gesellschaft geleistet. Was sonst hätte er noch tun können? Außerdem hatte er sich zu der Zeit damals um so viele andere Dinge kümmern müssen.
Danach hatte er sich ein paarmal mit Maggie zum Lunch oder Dinner getroffen. Er hörte gern Geschichten über ihren Dad. Aber genauso wie Maggie war Thomas O’Dell für ihn ein Fremder. Es gab nichts, an das er hätte anknüpfen können. Keine Erinnerungen. Keine Fotos. Nichts, was er ihm hinterlassen hatte. Patrick hatte noch nicht einmal den Familiennamen dieses Mannes erhalten.
Um es noch schlimmer zu machen, hatte ihm seine Mutter gesagt, dass sein Vater ein absolutes Tabuthema war. Sie wollte nicht darüber reden und bestand darauf, dass er ihren Wunsch respektierte. So nach dem Motto: Ich verlasse mich drauf, dass du aus dieser Geschichte kein Problem machst. Wieso hatte sie nicht eingesehen, dass Patrick über „das Thema“ sprechen musste, wenn er etwas über sich selbst erfahren wollte? Wieso war sie nur so stur geblieben? Der Erfolg war, dass er Thanksgiving mit Freunden verbracht hatte statt mit seiner Schwester. Freunde, die ihn einfach zurückließen, wenn es hart auf hart kam. So wie jetzt zum Beispiel.
Sie dachten alle, er wäre der reife, unabhängige Dreiundzwanzigjährige, der mit allem fertig wurde. Schließlich kam er ja schon so lange allein klar. Aber so langsam reichte es ihm mit der Unabhängigkeit. Vielleicht wollte er sich ja zur Abwechslung auch mal an jemanden anlehnen.
In dem Trockner wurde es immer heißer. Patrick lehnte den Kopf gegen die Trommel. Nicht gerade der beste Augenblick, um sich auf jemand anders zu verlassen. Wenn er angeblich immer so gut mit allem zurechtkam, musste er sich doch wohl aus diesem verdammten Trockner befreien können. Vielleicht sollte er sich einfach zurücklehnen und die Dinge aus einem anderen Winkel betrachten.
Er versuchte sich zu erinnern, wo die Scharniere saßen. An welcher Seite? War da ein Hebel gewesen, den man hochziehen musste? Er war so in Panik gewesen, dass er einfach hier
Weitere Kostenlose Bücher