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Blutiger Frühling

Titel: Blutiger Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara von Bellingen
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war.
    Alles stand noch so frisch in ihrer Erinnerung, als sei es gestern gewesen. Sie hatte mit ihm getanzt – zuerst einen wilden, danach einen zahmeren Tanz. Dass ihm die Schritte des Reigens nicht geläufig gewesen waren, hatte sie verwundert, aber als er mit ihr an den Rand des Tanzbodens ausgewichen war, hatte sie das wunderbare Gefühl gehabt, in seinen Armen zu schweben ... ja, es war ein Schweben gewesen, wahrhaftig.
    Dann hatte sie ihn gefragt, ob er gebunden sei – warum eigentlich? –, und er hatte ihr von seiner Geliebten erzählt. Mit einem schrecklichen Donnerschlag war die Erde wieder unter ihren Füßen spürbar gewesen. Und dann ...
    Anna Elisabeth wischte sich über die nassen Wangen. Die ganze Welt war eingestürzt, auf dem Tanz beim Erntefest. Sie war beleidigt worden, gedemütigt, auf übelste Weise geschmäht. Doch das Schlimmste war die Tatsache, dass er sichals einer vom Adel entpuppt hatte. Er hatte sie getäuscht. Er hieß nicht Albrecht Hund und kam auch nicht aus Schwarzental. Sein Name war Albrecht Wolf von Weißenstein. Und sie liebte ihn.
    Hannes ahnte nichts davon. Er hatte neulich den Auftritt bei der Tanzfläche nicht einmal mitbekommen. Viel zu sehr war er mit Trinken und Reden beschäftigt gewesen. Erst ihre Tränen später am Tag hatten ihn bewogen, nach ihrem Kummer zu fragen. Da hatte sie ihm lediglich von den Beleidigungen durch den Junker Hinzheim erzählt und den wahren Grund ihres Schmerzes nicht erwähnt. Wie konnte sie auch?
    Anna Elisabeth unterdrückte einen Schluchzer. Wie oft hatte sie jetzt die ganze entsetzliche Geschichte in der Erinnerung noch einmal ablaufen lassen – hundertmal? Tausendmal? Das Herz hatte ihr bis zum Hals geschlagen, als sie Albrecht in der Menschenmenge auf dem Fest erkannt hatte, und ihr war klar geworden, dass sie sich ein Wiedersehen erhofft hatte. Als er Hannes um Erlaubnis gebeten hatte, mit ihr zu tanzen, da war sie beinahe in die Luft gesprungen vor Freude. Auch auf dem Tanzboden dann hatte sie immer noch nicht begriffen, warum sie so unangemessen glücklich war – da hatte sie noch geglaubt, es sei nur die Festesstimmung. Erst als der andere Junker ihn angesprochen und er sie weggestoßen hatte, war es ihr bewusst geworden. Sie liebte ihn. Und sie hatte ihn verloren.
    Nein – sie hätte ihn nie gewinnen können. Er war ein Schuft – so viel stand fest. Dass er sich ihr genähert hatte, konnte nur einen einzigen Grund haben. Er war auf ein Abenteuer aus gewesen. Herren von Stand machten sich einen Spaß daraus, Bauernmädchen zu entehren ... der andere Junker, sein Vetter, hatte ja keinen Zweifel darüber gelassen.
    Anna Elisabeth schloss die Augen. Tränen rollten heiß über ihre Wangen und tropften auf das Fensterbrett. Er war ein Schuft – aber sein Kuss war so süß gewesen ...
    Hinter ihr trat jemand in die Stube. Sie wischte sich schnell über die Augen und drehte sich um. Hannes war hereingekommen; seine groben Stiefel hinterließen nasse Spuren auf den Pflastersteinen beim Herd.
    Sein Gesicht war von der rauen Luft gerötet. Wie er so dastand in seiner braunen, mit zotteligem Schaffell gefütterten Jacke, die topfartige Wollmütze tief in die Stirn gezogen, erinnerte er an einen vierschrötigen Waldgeist – einen Schrat oder Wurzelmann. Er hielt einen Feldhasen an den Ohren, ein großes, ausgewachsenes Tier, dem die Schlinge noch um den Hals baumelte. »Annelies«, sagte er munter, »hier bringe ich dir einen Braten fürs Nachtessen. Ich hoff, du lädst mich dazu auch an deinen Tisch!«
    »Bist du des Teufels?«, gab Anna Elisabeth erschrocken zurück. »Wenn dich einer gesehen hat ... !«
    »Hat aber keiner«, sagte Hannes und grinste. Dann musterte er betroffen ihr Gesicht. »Schätzle – was ist dir?«
    »Nichts«, erwiderte Anna Elisabeth. »Hab Zwiebeln geschält.«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß schon, was dir immer noch nachgeht«, sagte er, und in seiner Stimme lag ein Grollen. »Aber fürchte nicht, dass das ungestraft bleibt. Es kommt die Zeit, Annelies – da beleidigt keiner mehr die Meinige!«
    Er hatte wütend die Faust geballt. »Dagegen kommst du doch nicht an«, wies sie ihn zurecht. »Außerdem – es ist ja längst vergessen.«
    »Das meinst du.« Hannes schob das Kinn vor. »Ich hab’s nit vergessen!« Er runzelte die Brauen und starrte einen Augenblick finster vor sich hin. Dann hielt er ihr den Hasen entgegen. »Machst du’s selbst – oder soll ich ihn für dich abziehen und

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