Blutiger Frühling
ihr sprechen zu können. Wie auch? Siewürde umgeben sein von ihren Verwandten und Nachbarn, und dieser Rebmann, dieser Müllerhannes hatte bereits Verdacht geschöpft.
Eine List, um doch ein paar kostbare Augenblicke mit ihr allein zu verbringen, war ihm noch nicht eingefallen; nur die Möglichkeiten der Gewalt – Anna einfach zu entführen und damit ihrem grobschlächtigen Anverlobten zu entziehen – hatten seinen Sinn gekreuzt. Aber die kamen selbstverständlich nicht in Frage.
Es war zum Verzweifeln. Vielleicht kam Anna in der Kirche gar nicht dazu, überhaupt einen Blick zu ihm herüberzuwerfen – auf die Seite, wo die Männer standen. Dann würde er lediglich ihre schlanke Gestalt sehen, eingehüllt in einen dicken, faltigen Mantel. Und wenn sich ihr Platz am Ende ganz vorn in der Kirche befand – dann würde er nicht einmal ihr Gesicht erkennen können.
Jeden Augenblick musste Christoph erscheinen. Albrecht hatte dem Jungen versprochen, ihn wieder mit auf die Fahrt zu nehmen. Eine voreilige Zusage, denn mit Christoph an seiner Seite bestand für ihn doppelte Gefahr, sofort von Rebmann erkannt zu werden. Andererseits – Christoph würde schrecklich enttäuscht sein, wenn er ihm jetzt noch absagte, und er mochte den Burschen. Außerdem hatte er vor, ihm endlich darzulegen, wer sein Vater war.
Es musste sein. Viel zu lange hatte man den Jungen im Unklaren gelassen. Albrecht fluchte leise. Aber er wusste, warum nicht einmal die alte Magdalene den Mut aufgebracht hatte, Christoph aufzuklären. Es war die Angst vor Eberhart von Weißenstein gewesen, dessen Wunsch es nicht entsprochen hatte, seinem unstandesgemäßen Abkömmling die Wahrheit zu sagen. Nun blieb diese schwere Aufgabe an seinem einzigen ehelich geborenen Sohn hängen ...
Da war Christoph schon. Sollte er es gleich hinter sich bringenoder warten, bis sie morgen früh auf dem Weg waren? Je nachdem, wie der Junge es aufnahm, konnten sich Gott weiß was für Schwierigkeiten ergeben. Vielleicht war es besser, die Angelegenheit vorher zu klären.
»Du kommst mir gerade recht«, sagte er zu Christoph und zwang sich ein Lächeln ab. »Ich habe schon ungeduldig auf dich gewartet.«
Christoph grinste, bemerkte die Respektlosigkeit seiner Grimasse und kniff die Lippen wieder zusammen. »Warum, Herr?«, fragte er. »Ihr hattet mir doch aufgetragen, irgendwann zu Euch heraufzukommen ... sobald Zeit wäre.«
»Schon gut.« Albrecht deutete auf den Schemel am unteren Ende seines Bettes. »Setz dich, Christoph.«
»Ich, Herr?« Der Junge riss die Augen auf. »Ihr wollt, dass ich mich ... setze?«
Das schien ihm ungeheuerlich. War es auch, aus seiner Sicht. Man saß nicht in Gegenwart seines Herrn – nicht als einfacher Knecht. Albrecht wiederholte seine Weisung.
Christoph nahm zögernd auf der Kante des hölzernen Sitzmöbels Platz. Sein Gesicht war eine einzige große Frage. Albrecht setzte sich auf sein Bett. »Erinnerst du dich noch an die Fahrt, die ich zu Michaeli mit dir unternommen habe?«, fragte er den Jungen.
»O ja, Herr.« Christoph nickte zur Bekräftigung. »Ich war zum ersten Mal betrunken ... und es tut mir Leid ...«
Albrecht lächelte schmallippig. »Ich hatte ja auch ein paar Becher zu viel«, sagte er, »und es tut mir nicht Leid.«
»Aber Ihr seid der Herr«, wandte Christoph ein. »Das ist was ganz anderes.«
»So?« Albrecht blickte auf seine Hände. Wie nun weiter? Wie zum Teufel sollte er zum Thema kommen? »Jetzt sag mir, Christoph«, fuhr er langsam fort, »erinnerst du dich auch noch daran, dass du dich an diesem Tag als mein Bruder ausgegeben hast?«
»J... ja, Herr«, stammelte Christoph verlegen. »Aber es war ja Euer ausdrücklicher Wille, dass ich –«
»Richtig«, unterbrach ihn Albrecht mit wachsender Ungeduld, »aber darum geht es nicht. Vielmehr muss ich dir –«
»Herr«, fiel ihm Christoph diesmal in die Rede, »ich war dagegen – wisst Ihr noch?« Seine Miene verriet heillose Aufregung. »Es tut mir Leid, Herr, wenn es Euch jetzt nicht mehr gefällt, dass ich Eurem Befehl gefolgt bin ...«
»Zum Teufel, Junge!« Albrecht war am Ende mit seiner Langmut. »Entschuldige dich nicht dauernd für Dinge, die du gar nicht verschuldet hast. Oder willst du mich wütend machen?«
»Nein, Herr. Es tut mir Leid, Herr ...«
Christoph hatte die Lippen wieder fest zusammengepresst. Albrecht erkannte, dass er den falschen Ton gewählt hatte. »Höre, Christoph«, begann er sanft, »wie würde es dir gefallen, wenn
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