Blutiger Frühling
seit sie den Vater weggeholt hatten. Und einen Festbraten würde es morgen auch nicht geben.
Schon zwei Tage, nachdem der Junker von Weißenstein seinen Abschied genommen hatte, waren die Knechte des Klostervogtes zurückgekehrt und hatten die Aufgabe, deretwegen sie am Schlachttag gekommen waren, nachträglich doch noch ausgeführt. Sie hatten das fertig eingepökelte Fleisch aufgeladen und darüber hinaus noch den Hausvater mit sich weggeführt – zur Strafe, da er sich auch beim zweiten Besuch wieder geweigert hatte, die zusätzliche Abgabe an das Kloster zu leisten. Nun saß er in Haft beim Klostervogt, der halsstarrige Mensch, und Gott allein wusste, wann er wieder freikam.
Anna Elisabeth hatte keine Vorstellung davon, wie das Gefängnis aussah, in dem ihr Vater jetzt schon beinahe vier Wochen hatte verbringen müssen. Aber sie wusste: Ein alter Mann von beinahe fünfzig Jahren konnte den Aufenthalt darin nicht lange durchstehen. Das kaltfeuchte Wetter musste ihn krank machen, zumal man ihm ganz gewiss nicht genügend Nahrung geben würde. Und sie zitterte bei dem Gedanken, ihn vielleicht nie mehr lebend wiederzusehen.
Sie würde inbrünstig für ihn beten in der Christmette. Sie würde Gott und alle Heiligen anflehen, ihm Hilfe zu schicken. Sie würde die Mutter Gottes bitten, das Herz des Abtes zu erweichen, der doch immerhin ihr Diener war. Es konnte nicht Gottes Wille sein, dass ein so guter Mensch wie ihr Vater so unverdient leiden sollte.
Zum tausendsten Mal warf sie sich vor, dass sie den Junker von Weißenstein an jenem verhängnisvollen Abend nicht davon abgehalten hatte, sich einzumischen – dass sie nicht besonnen genug gewesen war, ihm die Situation zu erklären. Albrecht hatte zwar nur dem Recht zum Sieg zu verhelfen gesucht, aber er hatte ja nicht wissen können, wie wenig Bedeutungdas Recht für einen hörigen Bauern überhaupt hatte. Er hatte die Dinge aus seiner Sicht betrachtet, der Sicht eines adligen Herrn – und entsprechend gehandelt.
Anna Elisabeth spürte, wie sich ihr das Herz zusammenzog. Sie selbst hatte es Albrecht verboten, jemals wieder ihren Weg zu kreuzen. Damit hatte sie verhindert, dass er von der Katastrophe Kunde bekam und noch einmal eingriff. Doch ihm Nachricht zu schicken, das war ihr schlicht unmöglich. Wenn sie ihn wiedersah, würde sie –
Die Tür ging auf. Hannes kam herein, schon fertig gekleidet für den Kirchgang. »Da bin ich, Annelies«, sagte er, »wirf den Mantel über. Die anderen warten draußen. Wir können gleich losgehen.«
Anna Elisabeth nickte ihm zu. Ein Lächeln, wenn auch ein noch so kleines, brachte sie nicht zustande. »Sofort«, sagte sie. »Ich will nur noch schnell das Feuer sichern.«
Hannes brummte Zustimmung. Sie legte zwei neue Scheite auf und bedeckte die Glut mit etwas Asche, damit das Holz nicht zu schnell anbrannte. Als das erledigt war, nahm sie ihren Mantel vom Haken und hüllte sich hinein, während sie ihrem Anverlobten hinausfolgte.
Beinahe alle Bewohner des Dörfchens standen auf dem Weg – alle in ihrer besten Kleidung, aber dennoch bescheiden anzusehen. Braune Wolle, graues oder weißes Leinen, hier und da ein bisschen Kaninchenpelz zur Verbrämung der Kapuze – mehr Glanz konnte sich hier niemand leisten. Anna Elisabeth in ihrem dunkelblauen, weit geschnittenen Umhang aus selbst gefärbter Wolle wirkte beinahe prächtig, verglichen mit den anderen Frauen.
Schweigend setzte sich der kleine Zug in Bewegung. Niemand sprach auf dem Weg zur Kirche. Nur die Schritte knirschten auf der mit einer dünnen, hart gefrorenen Schneeschicht bedeckten Erde.
Albrecht und Christoph hatten den Hügel erreicht, von dem aus man die Spitze des Kirchturms sehen konnte. Albrecht hielt sein Pferd an, während Christophs Tier neben ihm zum Stehen kam. »Nun gilt es, Bruder«, sagte Albrecht mit einem Seitenblick auf den Jungen, der während des ganzen Rittes gedankenverloren vor sich hin geschaut und kaum geredet hatte. »Nun werden wir sehen, ob uns die Dörfler erkennen ...«
Christoph hob den Kopf. Er schien Albrecht mit Blicken zu umarmen, als er ihn ansah. »Ich hatte schon hin und her überlegt, wie du es anfangen willst«, sagte er, »aber ich bin zu keinem Schluss gekommen, Bruder.«
Das letzte Wort hatte er beinahe zärtlich ausgesprochen. Noch immer schien er euphorischer Stimmung zu sein – so wie am frühen Morgen, als er Albrechts Angebot freudig angenommen hatte. »Ich habe mir immer einen Bruder gewünscht«, waren seine
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