Blutiger Klee: Roman (German Edition)
einfach degoutant.«
Leo hustete
in seinem Fauteuil, aber Pestallozzi blieb gelassen.
»Sie sind
ebenfalls heute Nacht angekommen?«
»Noch vor
Mitternacht. Ich bin sofort losgefahren, nachdem mich meine Frau erreicht hatte.«
»Sie leben
in …«
»Wir leben
in Wien und in Warschau. Meine Familie bemüht sich um die Rückgabe der ehemaligen
Güter, bedauerlicherweise ist die derzeitige Regierung nicht sehr kooperativ.«
»Ah ja.
Ich muss Ihnen leider nochmals die Frage stellen. Haben Sie irgendeinen Verdacht,
wer diese Tat verübt haben könnte? Wir sind auf Ihre Mithilfe angewiesen.«
Der Mann
am Fenster verzog keine Miene, aber für eine Sekunde schien es, als ob Triumph über
sein Gesicht huschen würde. Wie ein Windhauch, der über das Gras strich.
»Bedaure,
Herr Pestallozzi, wir können Ihnen nicht helfen. Wir sind völlig konsterniert.«
Pestallozzi
nickte ernsthaft und bedächtig, als ob diese Allerweltsantwort ihm weitergeholfen
hätte. Draußen auf dem Vorplatz war eine junge Stimme zu hören, die etwas rief,
das wie ›Kimm scho’‹ klang, aber drinnen im Salon war die Atmosphäre so unbehaglich
wie bei einer Prüfung, die kein Ende nehmen wollte. Leo schwitzte in den Handflächen,
zum Glück schien Händeschütteln in diesen Kreisen nicht gerade in Mode zu sein.
Der Chef hingegen wirkte so ungerührt, als ob er nicht bemerken würde, dass man
ihn mit Ausflüchten verarschen wollte. Das heißt, es antwortete ja nur dieses unscheinbare
Männchen, die beiden auf dem Sofa hielten sich vornehm zurück. Die Frau sah sowieso
aus wie ausgestopft, oder vielleicht war sie ja auch nur von irgendwelchen Beruhigungsmitteln
zugedröhnt. Was bin ich froh über meine Familie, dachte Leo plötzlich mit einer
Inbrunst, die ihm normalerweise abging, seine wechselnden Freundinnen beschwerten
sich ständig über seine Gefühlsarmut. Auch wenn die Mama ganz schön nerven kann,
aber trotzdem ist es bei uns zu Hause einfach …
»Ihr Schwiegervater
ist den Weg zur Kapelle offenbar auf Linsen gegangen«, sagte Pestallozzi gerade
zu Zilinski, aber er ließ den Blick zu der Tochter des Opfers wandern. »Ihre Frau
hat mir gestern von dem alten Pilgerweg erzählt, der von diesem Haus zur Kapelle
führt. Und von dem Brauch, Linsen in den Schuhen zu tragen, um eine Schuld zu sühnen.
Können Sie mir …«
»Meine Frau
war gestern völlig von der Situation überfordert«, unterbrach ihn Zilinski heftig.
»Sie müssen bedenken, sie war ganz allein im Haus, als die Nachricht kam.«
»Herr Rittlinger
war ebenfalls anwesend.«
Ȁh, ja,
ja natürlich.«
Zilinski
schien einen Moment lang aus dem Tritt gebracht. Monika de Saint Aubry wollte offenbar
etwas sagen, aber ihr Mann legte ihr die Hand aufs Knie. Es wirkte, als ob er einen
Deckel auf einen Topf gestülpt hätte, die Frau starrte wieder auf die Kante des
Sofatisches.
»Ja, Sie
haben recht.« Zilinski hatte sich wieder gefangen. »Trotzdem war es eine Situation,
die an die Grenzen ihrer Nervenkraft ging. Ich würde es deshalb nicht überbewerten,
was meine Frau Ihnen gestern Abend alles gesagt und erzählt hat.«
Pestallozzi
nickte bedächtig.
»Trotzdem,
ich frage Sie nochmals. Haben Sie eine Erklärung für diese doch sehr seltsame Entdeckung?«
Gleich schreit
hier jemand los, dachte Leo. Entweder dieser Zilinski, weil er es einfach keine
Sekunde länger erträgt, dass er sich solche Fragen gefallen lassen muss. Oder die
Tante auf dem Sofa, die schaut ja mittlerweile drein, als ob sie selbst gerade auf
Linsen sitzen würde. Aber auf glühenden.
»Nein, habe
ich nicht«, sagte Zilinski. »Niemand hier im Raum hat eine Erklärung dafür.«
Der Mann
auf dem Sofa nickte zustimmend, die Frau konnte sich nicht einmal dazu aufraffen.
Pestallozzi stand ganz plötzlich auf, alle starrten ihn fast erschrocken an. Würde
er nun endlich lospoltern? Leo erhob sich ebenfalls, erwartungsvoll blickte er auf
den Chef. Aber der schien die Ruhe in Person, höflich nickte er in die Runde.
»Dann möchte
ich mich für Ihr Entgegenkommen und Ihre freundliche Bereitschaft, meine Fragen
zu beantworten, bedanken. Fürs Erste. Wo finden wir Herrn Rittlinger?«
War da ein
ironischer Unterton mitgeschwungen, eine beißende Höflichkeit, die man nur schwer
in die Schranken weisen konnte? Zilinski wirkte ernsthaft aus der Fassung gebracht.
»Sie finden
den Jakob draußen in der Garage hinter dem Haus.«
Sie starrten
alle auf die Frau, die zum ersten Mal gesprochen
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