Blutiger Klee: Roman (German Edition)
hatte.
Pestallozzi
sah sie an.
»Vielen
Dank. Wir finden schon hinaus. Leo, gibst du den Herrschaften unsere Karte? Damit
Sie uns jederzeit kontaktieren können, falls Ihnen doch noch etwas einfallen sollte,
was Ihnen wichtig erscheint.«
Leo griff
in seine Jacketttasche, dann hielt er eine Visitenkarte unschlüssig in der Hand,
schließlich legte er sie auf den Couchtisch vor dem Sofa. Pestallozzi verneigte
sich einen Millimeter tief und verließ den Salon, Leo folgte ihm. Sie bewegten sich
nun schon sicherer in dem Haus, durch die Halle und das hölzerne Portal, die Treppe
hinab.
»Die spinnen
ja, die Römer«, sagte Leo, als sie wieder auf dem Kies standen, und holte demonstrativ
tief Luft.
Pestallozzi
antwortete nicht, sondern sah sich suchend um, dann entdeckte er den Pfad, der um
das Anwesen führte. Sie gingen an der Hausfront entlang, die Fenster im Erdgeschoss
waren so hoch über dem Fundament eingesetzt, dass sie keinen Blick in die Zimmer
gestatteten, nur schwere Vorhänge aus gelbem Brokat ließen sich einmal erahnen.
Hinter dem Haus war der Wald für einen überraschend großen Platz zurückgedrängt
worden, statt Kies gab es hier nur festgestampftes Erdreich, das von Reifenspuren
zerfurcht war. Schräg vor ihnen befand sich ein kleiner Stadel, vor dem Gartengerät
herumlag, daran schloss sich eine niedere Halle an, die zwei mächtige Tore aufwies.
Das rechte Tor war weit geöffnet, der alte Jakob saß auf einer Kiste und hielt einen
Lappen in der Hand, offenbar unterhielt er sich mit jemandem, der im Inneren der
Halle werkelte. Sie gingen auf ihn zu, und der alte Mann stand schwerfällig auf.
»Grüß Gott,
Herr Rittlinger«, sagte Pestallozzi. »Sind Sie schon wieder fleißig?«
»Muss ja
sein, Herr Chefinspektor.«
Sie traten
zu ihm hin und sahen in das Halbdunkel hinein. Werkzeug hing an den Wänden, Gerümpel
lag zwischen Kisten und Blechtonnen. Weiter hinten stand ein Wagen mit offener Ladefläche,
der schon bessere Tage gesehen hatte, ein typisches Arbeitsgefährt. Zwei Fahrräder
lehnten an der Wand, Reifen waren übereinander gestapelt. Vor ihnen aber stand –
Leo war versucht, sich die Augen zu reiben – ein Rolls-Royce. Die Tür vom Fahrersitz
war offen, ein junger Mann machte sich gerade an den Armaturen zu schaffen. Als
er die Schritte hörte, steckte er den Kopf hervor.
»Das ist
der Patrick Gmoser, der hilft mir immer, wenn etwas zu reparieren ist. Ein tüchtiger
Bursch, nächstes Jahr ist er fertig mit der Mechanikerlehre. Sag grüß Gott, Patrick.«
Patrick
Gmoser war ausgestiegen, nun murmelte er ein undeutliches ›Hallo‹, ziemlich verlegen.
Pestallozzi nickte ihm freundlich zu.
»Ich will
Sie beide gar nicht lange stören. Ein schönes Auto ist das.«
Der alte
Rittlinger nickte voller Stolz.
»Das hat
der Herr Baron damals nach dem Krieg angeschafft. Aber es braucht halt viel Pflege,
auch wenn nie jemand damit fahrt. Aber jetzt … jetzt werden es die Herrschaften
ja vielleicht doch brauchen, deshalb schaut der Patrick nach, ob alles in Ordnung
ist.«
Leo war
nähergetreten und berührte mit den Fingerspitzen ganz sachte die dunkelgrüne Lackierung.
Durch die spiegelblank geputzten Scheiben konnte er die beige Lederpolsterung der
Sitze erkennen, das Lenkrad war offensichtlich aus lackiertem Wurzelholz und hatte
einen Durchmesser so groß wie ein Winterreifen an seinem Golf, mindestens. Leo verspürte
einen fast nicht bezähmbaren Drang, die Tür zu öffnen und sich wenigstens einmal
im Leben in so einen Schlitten zu setzen. Wer weiß, ob er jemals noch vor einem
Rolls stehen würde, diese Gelegenheit durfte man einfach nicht verpassen. Aber ein
Blick auf den Chef genügte ihm, um zu erkennen, dass der wenig Verständnis für so
eine kleine Extratour aufbringen würde. Also blieb Leo charakterstark stehen und
bewunderte nur still die Kühlerfigur.
»Wer wird
denn damit fahren?«, fragte Pestallozzi. »Der junge Herr Gleinegg?«
Jakob Rittlinger
sah einen Moment lang betrübt aus, dann musste er schmunzeln.
»Der ganz
bestimmt nicht. Der fahrt nur auf seiner Maschin’.«
Pestallozzi
sah sich suchend um, aber der alte Rittlinger schüttelte den Kopf. »Der junge Herr
ist noch immer nicht da. Heute in der Früh hat er sich endlich gemeldet, aber er
hat gesagt, dass er noch heute eintreffen wird. Die Frau Gräfin hat mir das mitgeteilt.«
Der Herr
Baron, der junge Herr, die Frau Gräfin. Pestallozzi bekam immer mehr ein Gefühl,
als ob er sich am Amazonas verirrt
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